Jeder Tag beginnt für Karina Köcher-Reuße um halb sechs Uhr morgens. Nach dem Frühstück steht sie in Gummistiefeln im Stall. Rund drei Stunden ist sie dann mit ihren Kühen und Kälbern beschäftigt. Die 46-Jährige ist Landwirtin in der nordhessischen Gemeinde Guxhagen. Den Hof hat sie von ihrem verstorbenen Vater Bernhard Reuße geerbt. Für sie war immer klar, dass sie ihn einmal übernehmen will: „Ein anderer Beruf kam für mich nie infrage.“
In ihrem Stall, nur wenige hundert Meter vom Hof entfernt und mitten im Feld, stehen 125 Milchkühe, die Haupteinnahmequelle des Betriebes. Der gesamte Bestand umfasst doppelt so viele Rinder. Dazu kommen 90 Hektar Ackerland mit Weizen, Mais, Gerste und Raps sowie 50 Hektar Grünland und eine Schar Schweine, Ponys, Hühner, Hasen und Katzen, die versorgt werden.
Unterstützt wird Karina Köcher-Reuße von ihrer Mutter Petra (66), die morgens und abends beim Melken hilft und die Buchhaltung erledigt, sowie je nach Saison von Hilfskräften. Seit sich ihr Vater vor vier Jahren aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen hatte, ist der Hof in Frauenhand. Das ist nicht selbstverständlich: Denn das Gros der deutschen Agrarbetriebe wird von Männern geleitet.
Nur wenige Frauen führen einen Agrarbetrieb
Die Göttinger Soziologin Claudia Neu belegt mit ihrer Forschung, dass Frauen sehr viel seltener als Männer einen Hof führen oder erben: „Wir haben in Deutschland eine auch im europaweiten Vergleich sehr geringe Zahl an Betriebsleiterinnen“, sagt die Professorin für Soziologie ländlicher Räume an den Universitäten Göttingen und Kassel. Nur elf Prozent aller Agrarbetriebe werden von einer Frau geführt, das sind rund 28.400, und bei den Hoferben liegt der Frauenanteil bei 18 Prozent.

Dass sie in einer Männerdomäne arbeitet, spürt Karina Köcher-Reuße: „Frauen werden gern belächelt und belehrt.“ Wenn sie sät, kann es durchaus passieren, dass sie von Kollegen beobachtet wird: „Die warten nur auf Fehler. Frauen dürfen keine Schwäche zeigen. Deshalb frage ich nur um Rat, wenn es nicht anders geht.“ Außerdem seien Neid und Konkurrenz groß, da es für jeden Betrieb ums Überleben gehe.
„Schaffst du das denn überhaupt als Frau?“ Diese Frage irritiert sie. „Schließlich machen Männer und Frauen die gleiche Ausbildung.“ Immer wieder erntet sie ungläubige Blicke, wenn sie die schweren Maschinen auf dem Feld bedient. „Ja, es ist ein harter Beruf“, sagt die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Aber auch ein Mann komme mal an seine Grenzen.
Für eine bundesweite Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft haben das Thünen-Institut für Betriebswirtschaft und die Georg-August-Universität Göttingen zwischen 2019 und 2022 gut 7.000 Frauen dazu befragt, wie ihr Leben und ihre Arbeit auf dem Hof aussehen. Claudia Neu aus dem Forscherteam sagt, alle eine, dass sie immer wieder ihre Kompetenzen unter Beweis stellen müssten: „Sie sind damit konfrontiert, dass man ihnen nicht zutraut, den Traktor zu fahren oder mit schwerem Gerät zu arbeiten.“
Frauen werden noch benachteiligt
Für Karina Köcher-Reuße, die ihre Ausbildung teils auf dem familieneigenen Hof machte und die Weiterbildung zur Agrarbetriebswirtin dranhing, war der Vater ein wichtiger Ratgeber: „Er hat mich machen lassen und ermutigt.“ Auch wenn es für ihn schwer gewesen sei loszulassen, habe er den Wunsch gehabt, dass der Hof an die nächste Generation gehe: „Er hat mich mehr und mehr ernst genommen und irgendwann gesagt, du machst das besser als ich.“
Nun gibt sie die weibliche Tradition in der Landwirtschaft auch weiter: Eine junge Landwirtin, die auf ihrem Hof ausgebildet wurde und länger dort arbeitete, absolviert nun ebenfalls die Weiterbildung zur Agrarbetriebswirtin.

Köcher-Reußes Mutter Petra, die vor über 40 Jahren in den Hof eingeheiratet hat, weiß, wie schwer es ist, als Frau in der Landwirtschaft ernst genommen zu werden. Frauen würden heute noch benachteiligt. Wenn es beispielsweise darum gehe, wer ein Stück Land zum Pachten bekomme, werde stets der Landwirt der Landwirtin vorgezogen. „Karina muss sich da behaupten“, sagt sie.
Ihre Tochter brennt für ihre Arbeit: „Ich habe keinen Zehn-Stunden-Tag. Wenn es sein muss, arbeite ich bis nachts. Wenn die Gülle verstopft ist, stehe ich vorne.“ Freie Zeit für mehrwöchige Urlaube oder Hobbys ist rar. Maximal fünf Tage am Stück könne sie mit den Kindern mal wegfahren, um den Kopf vom Hofleben freizubekommen.
Landwirtschaft ist traditioneller Bereich
Die Jüngsten, Jana (13) und Julian (11), helfen mit: „Sie haben kleine Aufgaben. So wissen sie es besser zu schätzen, wenn wir in den Urlaub fahren oder der Paketbote etwas bringt. Irgendwo muss das Geld ja herkommen“, sagt die Landwirtin. So haben auch ihre Eltern ihre Töchter an die Arbeit auf dem Hof herangeführt. Jetzt gehört der Milchviehbetrieb ihr, die Schwester bewirtschaftet mit deren Mann einen eigenen Hof.