Eine Ärztin erzählt aus ihrer Erfahrung in einer psychosomatischen Klinik von einer Patientin. Sie hatte gefragt, ob die Patientin Psychopharmaka braucht. Darauf hat die Patientin gesagt: „Tabletten? Nein, ich habe eine gute Freundin.“
Freundschaften zählen zu den Pfeilern seelischer und körperlicher Widerstandskraft. Da ist sich die Forschung einig. Gemeinsam das Schöne teilen, aber vor allem auch das Leid: Es tut einfach gut, wenn man jemanden hat, dem man das Herz ausschütten kann, auf den (oder die) man sich verlassen kann – komme, was da wolle.
Egal, ob man eine Krankheit durchstehen muss, ob eine Scheidung ansteht oder ein lieber Mensch gestorben ist: Mit einem Freund oder einer Freundin an der Seite sind solche Krisen leichter zu ertragen. Aber auch positive Ereignisse und Glaubenserlebnisse lassen sich gut in Freundschaften teilen und machen dann doppelt glücklich.
Ob Ernie und Bert, Charlotte von Stein und Charlotte Schiller, Thelma und Louise, in der Bibel David und Jonathan, als Kindheitsidol auch die Biene Maja mit ihrem Freund Willi – Literatur, Filme, Lieder sind voll von guten Freundschaften und der Sehnsucht danach.
Wenig überraschend also, dass in Umfragen nach den wichtigsten Dingen im Leben die Freundschaft ganz oben steht. Umso erstaunlicher aber, dass auf der anderen Seite sehr viele Menschen sagen: Einen wirklichen Freund, eine echte Freundin habe ich gar nicht. Zumindest nicht mehr seit meiner Kindheit oder Jugend.
Tatsächlich fällt es mit zunehmendem Alter schwerer, neue Freundschaften zu schließen. Darauf weist etwa Marisa G. Franco hin, Soziologie-Professorin an der University of Maryland, in einem Interview mit dem amerikanischen Radiosender WBUR, wie das Magazin „Stern“ berichtet. Beruf und Familie verschieben die Schwerpunkte. Meist fehlen dann oft auch schlicht Zeit und Energie, um sich noch einmal aufzuraffen, den Kontakt zu anderen zu suchen.
Denn das ist notwendig. Wer echte, gute Freundschaft will, muss Zeit und Energie dafür aufwenden, sagt Marisa C. Franco. Freundschaften wollen gepflegt werden, sie entstehen durch regelmäßige, gemeinsame „Interaktion“, also durch aufeinander bezogenes, wechselseitiges Handeln. Und, ganz wichtig, durch die Erfahrung gemeinsamer Verletzlichkeit.
In der Kindheit ergab sich beides meist von ganz alleine. Man saß neben jemandem im Unterricht, hatte ähnliche Probleme zu meistern. Man verabredete sich fast wie von selbst, um am Nachmittag gemeinsam zu lernen, Musik zu hören oder sich auch im Liebeskummer zu stützen.
Je älter man wird, desto mehr schwinden Zeit und Gelegenheit. Erste, schlimme Enttäuschungen kommen dazu, die Unbedarftheit verschwindet. Man erlebt, wie verletzlich man sich macht, wenn man sich jemandem anvertraut und öffnet.
Diese Angst vor Enttäuschungen dürfte der eigentliche Grund sein, warum sich viele vor Freundschaften scheuen. Aber wer dieses Risiko scheut, bringt sich eben auch um die Chance, eines der größten Geschenke zu erfahren, die ein Mensch erleben kann: echte, tiefe Freundschaft.
Was also tun?
Vielleicht helfen ein paar Gedanken:
Enttäuschungen in Freundschaften entstehen oft durch überzogene Erwartungen an die Andere, den Anderen. Meine Freundin muss nicht alles genau so sehen und machen wie ich. Es kann enorm entlasten, den Anderen als das zu sehen, was er oder sie eben ist: anders.
Die Scheu vor Nähe und Vertraulichkeit kann aber auch darin liegen, dass man zu hohe Erwartungen an sich selbst hat. „Oh, was mag die sympathische Frau bloß von mir halten, wenn sie irgendwann mitbekommt, dass ich gar nicht so toll bin, wie sie jetzt vielleicht noch glaubt?“ Auch hier kann es enorm entlasten, wenn man sich vor Augen führt, dass eine echte Freundschaft so etwas aushalten wird – selbst, wenn beide dann daran arbeiten müssen.
Und das ist ein dritter wichtiger Punkt: Freundschaft gibt es Dauer nicht ohne gelegentliche Eintrübungen, Verstimmungen und vielleicht sogar Krisen. Dann ist Beziehungsarbeit angesagt. Das ist normal. Und eine der lohnendsten Investitionen ins Lebensglück.
Um neue Freundschaften zu suchen, muss man sich aufraffen. Gemeinsame Interessen bieten einen guten Anknüpfungspunkt. Etwa Kirchengemeinden, Vereine, Hobbygemeinschaften, Selbsthilfegruppen.
Oder mal zurückdenken an die Jugend. Es kann sich lohnen, zu Freunden oder Freundinnen aus dieser Zeit wieder Kontakt aufzunehmen. Manche Menschen sagen, die tiefsten Freundschaften seien in ihrer Jugend entstanden – nicht selten durch die kirchliche Jugendarbeit. Also ruhig mal in der Erinnerung stöbern. Einfach mal anrufen. Und ein Treffen zum Beispiel im Café ausmachen.