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Ein Denkmal und ein Name

Die Gedenkstätte und Forschungseinrichtung Yad Vashem ist einer der beeindruckendsten Orte in Israel. Dort wird der Opfer des Nationalsozialismus gedacht – insbesondere der rund sechs Millionen Juden. Menschen aller Nationen begegnen sich dort

Besim Mazhiqi

Vor wenigen Wochen war ich zum ersten Mal in Israel. Und damit auch zum ersten Mal in Yad Vashem, der Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem. Die Gebäude sind architektonisch und museumspädagogisch absolut beeindruckend.
Aber was dort gezeigt wird, ist und bleibt unfassbar. Neun Galerien dokumentieren die Geschichte der Judenverfolgung. Mit Videos, Fotos, Texten und Kunstwerken wird der Völkermord an den europäischen Juden dargestellt. Auch wenn ich mich wahrlich nicht zum ersten Mal damit befasst habe: Es ist das Grauen pur.
Wenn ich an die Ausstellung denke, spüre ich jetzt noch Wut, Trauer, Fassungslosigkeit. Und die Sorge darüber, wie sich in Deutschland Menschen zunehmend antisemitisch, rassistisch und ausländerfeindlich äußern. „Wehret den Anfängen“ wird beim Besuch in Yad Vashem wieder so erschreckend aktuell.
Eine der Erinnerungsstätten dort ist das „Denkmal für die Kinder“ – gewidmet 1,5 Millionen von den Nazis ermordeten jüdischen Kindern. Fünf Kerzen in diesem dunklen Raum werden so reflektiert, dass ein ganzer Sternenhimmel entsteht. Im Hintergrund werden rund um die Uhr die Namen, das Alter und der Geburtsort der Kinder verlesen. Dieses Endlosband braucht ungefähr drei Monate, um alle Namen wiederzugeben. Und dabei ist überhaupt nur ein kleiner Teil der Kinder namentlich bekannt. Dort durchzugehen ist so unglaublich traurig.
Oft steckt der Schrecken auch in scheinbar kleinen, unauffälligen Ausstellungsstücken. In einer Vitrine wird ein antisemitisches Gesellschaftsspiel aus der Nazi-Zeit gezeigt. Es heißt „Juden raus“. Untertitel: „Das zeitgemäße und überaus lustige Gesellschaftsspiel für Erwachsene und Kinder.“
Ich könnte von grausameren Exponaten in Yad Vashem berichten. Aber dieses Spiel führt einem den ganzen Wahnsinn noch einmal so deutlich vor Augen. Darum sehe ich seit meinem Besuch in der Gedenkstätte manche Entwicklung in Israel nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal in einem anderen Licht.
Und für mich und mein Heimatland kann ich nur sagen: Wir müssen gut aufpassen. Diejenigen, die andere Menschen verachten und Hass und Gewalt verbreiten, werden immer mehr. Oder sie geben sich immer lauter. Das ist unerträglich. Yad Vashem und andere Orte des Gedenkens zeigen nämlich, wohin Antisemitismus, Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit führen: in die Gaskammern der Vernichtungslager.
In der „Halle der Erinnerung“ sind die Namen der 22 größten Konzentrationslager in den Boden eingraviert. Ich war dabei, als der NRW-Landtagspräsident André Kuper und Ministerpräsident Armin Laschet genau an dieser Stelle gemeinsam einen Trauerkranz niedergelegt haben.
Gleich daneben ist unter einer Steinplatte Asche aus den Lagern begraben. Das war ein bewegender Moment. Beeindruckend fand ich auch die Worte, die der Landtagspräsident in das Gedenkbuch geschrieben hat: „Erschüttert über das beispiellos Geschehene (…) Den Opfern der Shoa zum Gedächtnis. Uns Heutigen zur Mahnung und Verpflichtung. Unseren Kindern zur Freundschaft mit Israel!“
Ebenso bewegend fand ich die Erinnerung an die „Gerechten unter den Völkern“. Zumeist reichte die Einstellung gegenüber den Juden während des Holocaust ja von Gleichgültigkeit bis zu Feindseligkeit. Die breite Masse sah zu, wie ehemalige Nachbarn zusammengetrieben und getötet wurden; manche machten mit den Tätern sogar gemeinsame Sache.
In dieser Welt gab es jedoch eine kleine Minderheit, die außergewöhnlichen Mut an den Tag legte, um Menschlichkeit hochzuhalten. Diese sogenannten Gerechten unter den Völkern stehen im krassen Gegensatz zur sonstigen Gleichgültigkeit oder Feindseligkeit während des Holocaust.
Der Preis, den die Retter für ihr Handeln zu bezahlen hatten, war meist hoch. Manche wurden selbst in Lager eingesperrt und ermordet. Weltweit 27 000 solcher „Gerechten unter den Völkern“ sind in Yad Vashem namentlich bekannt und dokumentiert.
Am Ende der Besichtigung der gesamten Gedenkstätte stand für mich fest: Wer Yad Vashem einmal besucht, dem wird erneut klar, dass Hetzer und Brandstifter in Deutschland unter keinen Umständen wieder die Oberhand gewinnen dürfen. Und ich hoffe inständig, es bleibt dabei.