Bärbel Hamal fährt aus Gera Richtung Harz ins Kloster Drübeck bei Ilsenburg. Im Gepäck hat die 57-Jährige neben großer Erwartung Gesangbuch, Gottesdienstbuch, Papier und Stift für den Prädikanten-Aufbaukurs an sieben Wochenenden. Drei Jahre Kirchlicher Fernunterricht liegen hinter ihr.
Sie zeigt 15 Hefter: „Das sind die 15 Hausarbeiten, die ich in dieser Zeit geschrieben habe. Da steckt viel Arbeit, aber auch Entdeckerfreude und neues Wissen drin.“ Ihren Examensgottesdienst im März hielt sie im selbst genähten schwarzen Talar aus feiner italienischer Wolle. Ihre Familie, Sohn Roland aus Gießen und die Schwester aus Bayern, durften wegen Corona nicht dabei sein. Ein Wermutstropfen, aber Bärbel Hamal ist inzwischen eine starke Frau. Sie hat gelernt, mit Lebenskrisen umzugehen.
Gelernt, mit Lebenskrisen umzugehen
Die schlimmste traf sie 2004. „Mein Mann starb an Krebs“, erzählt sie. „Ich flüchtete mich in die Arbeit. Nähte und nähte, auch an den Wochenenden. Trost fand ich in spiritueller Musik.“ Die hat sie getragen, hin zum Glauben. Ihre Eltern waren zwar in der Kirche, aber christlich erzogen wurde Bärbel Hamal nicht.
Sie hört etwas aus Psalm 103. Das rührt sie an und so schlägt sie den Text in der Bibel nach. Sie liest diesen Psalm und hat den Eindruck, als wäre er für sie geschrieben – wie Gott Gebrechen heilt, das Leben vor dem Untergang bewahrt, rettet, tröstet. In ihr, der selbstständigen Schneidermeisterin seit 1988, die ihr Leben an der Nähmaschine verbracht hat, wird ein Wunsch stark: „Du musst hier raus, ins Heilige Land, nach Israel.“
In Israel reift der Entschluss, sich taufen zu lassen
2009, in dem Jahr, in dem sie ihre Silberhochzeit gefeiert hätte, bricht sie mit einer Reisegruppe aus Gera auf nach Israel. Sie saugt die biblische Geschichte dieses Landes in sich auf. In Jaffa, bei nächtlichen Wanderungen am Meer und nach langen Gesprächen mit anderen Reiseteilnehmern, reift in ihr der Entschluss: „Ich mache meinen Glauben offiziell. Ich lasse mich taufen.“
Sohn und Schwester verstehen sie. Sie, die Zurückhaltende, hat sich verändert. Sie beginnt, Bibelabende und Gottesdienste zu besuchen. Sie ist fasziniert von den Predigten, die Pfarrer Andreas Schaller hält. Sie schließt sich seiner Theatergruppe „Theatro Langenbergensis“ an. Aus der Helferin, die Kostüme näht und für die Versorgung verantwortlich zeichnet, wird die Darstellerin, wenn auch in kleinen Rollen. „Das hat mir viel geholfen, vor anderen Menschen frei zu sprechen, hat mich selbstbewusster gemacht.“
Im Februar 2010 fragt sie ihren Pfarrer zaghaft nach der Möglichkeit einer Erwachsenentaufe. „Beim Sommerfest im Pfarrgarten unter Apfelbäumen wurde ich im Juni 2010 mit 47 Jahren getauft.“ Die Gemeinde wird ihr zweites Zuhause. 2013 wird sie in den Gemeindekirchenrat gewählt, 2019 wiedergewählt.
Auch beruflich verändert sie sich. „Ich habe Maßschneiderin gelernt. Allen Untergangsprophezeiungen nach der Wende zum Trotz lebe ich bis jetzt davon und halte die Maßanfertigung als Handwerk hoch.“ Doch neben Kleidern und Kostümen fertigt sie nun auch Talare, Stolen, Beffchen und Altarbehänge. In letztere legt sie ihre ganze liebevolle Kreativität, kreiert Kunstwerke in Patchwork-Technik. Für verwaiste Eltern näht sie aus Kleidungsstücken verstorbener Kinder Patchwork-Decken, Hüllen inniger Verbindung und des Trostes.
Schneiderwerkstatt in Kirchenräumen
Ihre Schneiderwerkstatt hat sie in Kirchenräume verlegt und ihr einen bunten kreativen Kirchenladen angegliedert, der zum stundenlangen Stöbern einlädt. Viel Zeit widmet sie der Kirche, hat den Modellflug als Hobby im Freien für sich entdeckt. Sie baut einen Holzflieger, entdeckt sich selbst und ihre Fähigkeiten immer wieder neu.
Die tiefe Beschäftigung mit dem Glauben weckte in ihr den Wunsch, selbst in der Verkündigung tätig zu werden. 2017 startet sie in ihre Ausbildung zur Lektorin und Prädikantin. Ihr Mentor, Pfarrer Andreas Schaller, meint anerkennend: „Es ist unglaublich, mit welcher Freude Bärbel Hamal biblische und theologische Entdeckungen macht, wieviel Zeit, Kraft und Ehrgeiz sie in dieses neue Amt investiert. Bei der Gemeinde, für die sie eine echte Bereicherung ist, kommt sie sehr gut an. Durch ihre persönlichen Erfahrungen ist sie glaubhaft und authentisch.“