Hannover/Neustadt am Rübenberge. Heinz Rudolf Kunze schlägt am Flügel vor dem spätbarocken Altar die Tasten an. In der evangelischen Liebfrauen-Kirche im niedersächsischen Neustadt am Rübenberge singt er “Zusammen”, sein Lied zur Corona-Krise: “Wie die Stürme auch toben, halt den Kopf immer oben, selbst die finsterste Nacht geht vorbei.” Der Rocksänger spielt an diesem Tag zwei seiner neuesten Songs – allerdings vor kleinem Publikum. Nur ein Filmteam des Evangelischen Kirchenfunks Niedersachsen-Bremen begleitet ihn. Einer der Filmemacher steuert dabei eine Drohne, die beinahe bedächtig ihre Kreise um Kunze zieht.
Der Musiker tritt für einen Gottesdienst auf, der an diesem Sonntag, 14. Juni, im Internet zu sehen sein wird. Alle Mitglieder des Produktionsteams tragen Mundschutz. Online-Gottesdienste haben sich während der Corona-Krise in Deutschland etabliert. Und sie bleiben vorerst bestehen, auch wenn in vielen Kirchen inzwischen wieder Gottesdienste gefeiert werden. So bietet die Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen bis auf weiteres jeden Sonntag einen Gottesdienst im Netz an.
Online-Gottesdienst mit Promi-Faktor: An diesem Sonntag singt Heinz Rudolf Kunze in der Kirche in Neustadt am Rübenberge bei #Hannover. Hier kommt ein Vorbericht im Video. #ez_heute pic.twitter.com/DksSO8jvPN
— Evangelische Zeitung (@Evangelische) June 12, 2020
“Diese Prüfung ist hart, diese Nichtgegenwart, diese unsichtbar leise Bedrohung”, singt Kunze nun. Für ihn selbst zähle die Corona-Krise zu den schwersten Momenten seines Lebens, erzählt der Sänger, der seit fast 40 Jahren auf der Bühne steht. Die Deutschland-Tournee zu seinem neuen Album ist um ein ganzes Jahr verschoben worden, von diesem Frühjahr zunächst auf den Herbst, dann auf das kommende Frühjahr: “Das lässt einen schon manchmal schwer in den Schlaf finden.” Doch härter habe ihn etwas ganz anderes getroffen, gesteht der 63-Jährige: Acht Wochen lang konnte er seine neugeborene Enkelin nicht besuchen. Sein Sohn habe – natürlich zu Recht – so entschieden. “Aber so etwas ist richtig Mist.”
Ein ganz besonderes Lied
Den Song “Zusammen” hat Kunze eigens mit Blick auf diese “bedrückte Zeit” getextet, wie er sagt. Produzent Dieter Falk hat die Musik dafür komponiert. Das im Gospelrock-Stil gehaltene Stück solle “an Bob Dylans theologische Schaffensphase Anfang der 1980er Jahre erinnern”, erläutert Kunze. “Meine Lieblingsplatten von ihm stammen aus dieser Zeit.” Tatsächlich fügen sich Kunzes Klavier-Klänge geschmeidig in die Szenerie der Neustädter Kirche.
Abgesehen von den etwa zehn Menschen, die filmen, fotografieren oder knappe Regieanweisungen geben, ist der Sänger in der Kirche allein. Doch im Video kommen für einen Teil seines Liedes nicht weniger als 1.000 weitere Stimmen hinzu. 1.000 Menschen haben zu Hause den Refrain eingeübt und sich selbst beim Singen gefilmt. Produzent Falk mischte die Aufnahmen anschließend zu einem Chor zusammen. Das mache das Stück ganz besonders, sagt Kunze. “Dieter hat mir geschworen, dass er nicht eine einzige Stimme unterschlagen hat”, fügt er mit einem trockenen Lächeln hinzu.
Ein Chor mit tausend Stimmen
Mit dem Lied wollte er trotz der großen Entbehrungen dieser Zeit zur Solidarität aufrufen, sagt Kunze, also “die Menschen in ihrem Bestreben bestärken, fair zu sein und auf die Schwächeren zu achten”. So heißt es in den Liedzeilen des tausendstimmigen Zuhause-Chors denn auch: “Im Moment der Gefahr wird uns schlagartig klar, woher wir gemeinschaftlich stammen.” Und dann: “In der Stunde der Not heißt das erste Gebot: Wir steh’n und wir halten zusammen.” Seit dem Erscheinen am 19. Mai wurde “Zusammen” auf dem “YouTube”-Kanal von Kunzes Musikproduktionsfirma fast 9.000 Mal aufgerufen.
Online-Gottesdienste haben auf den Online-Portalen zumeist deutlich weniger Anhänger. Trotzdem findet Pastor Mathis Burfien, Kirchenrat der hannoverschen Landeskirche, die digitalen Angebote wichtig: “Ich weiß vom Schmerz vieler Leute, denen die Gottesdienste sonst sehr ernst gefehlt hätten.” Dass mit Heinz Rudolf Kunze diesmal ein so prominenter Gast dabei ist, freue ihn besonders.
“Selbst ein kleines Licht hilft”
Burfien gestaltet den Online-Gottesdienst gemeinsam mit Kunze. Kurz bevor Kunze im Altarraum am schwarzen Flügel Platz nimmt, spricht er im schwarzen Talar, den Blick Richtung Fernsehkamera gewandt, seine Predigt ein. “Selbst ein kleines Licht hilft, die Nacht aufzuhellen”, sagt er. “Oder anders: Vom Licht zu wissen, hilft, die Dunkelheit zu ertragen.”
Burfiens Worte schlagen eine Brücke zu einem weiteren Song, den Kunze für den Online-Gottesdienst einspielt: “Die Dunkelheit hat nicht das letzte Wort”. Es ist ein Stück aus Kunzes aktuellem Album “Der Wahrheit die Ehre”, das im Februar erschienen war. Kunze betrachtet es als eines seiner politischsten Werke. Entstanden sei das Lied Ende 2019 eigentlich als Reaktion auf die Landtagswahl und die folgenden politischen Verwerfungen in Thüringen, sagt er. Aber in diese von Verunsicherung und Ungewissheit geprägte Zeit passe es mindestens genauso gut. (epd)