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Disney präsentiert reale Geschichte als Satire

Die Disney-Serie “Whiskey on the Rocks” macht ein russisches U-Boot, das 1981 in Schweden strandet, zum Ort einer durchgeknallten Polit-Satire. Das hätte schiefgehen können. Ist es aber nicht.

Wie ernst handelsübliches Historytainment die geschichtliche Wahrheit nimmt, hängt meist von fünf Faktoren ab: Epoche, Fachgebiet, Datenlage, Budget – und ganz wichtig: den Sehgewohnheiten des Publikums.

Von der Antike übers Mittelalter bis tief ins 20. Jahrhundert hinein mögen Fiktionen aller Genres da noch so sorgsam recherchiert, finanziert, ausstaffiert sein; am Ende steht und fällt die Authentizität der Kostüme, Kulissen oder Dialoge damit, was Buch und Regie dem Publikum zumuten wollen. Für diese Erkenntnis reichen vier Sekunden “Wanderhure”, fünf Minuten Edelwestern oder sechs Folgen der Disney-Serie “Whiskey on the Rocks”.

Letztere nämlich spielt nicht nur vor gerade mal 44 Jahren. Ihr Ereignis steckt Älteren auch noch in den Knochen und zeugt von einer hochriskanten Epoche. Am 27. Oktober 1981 verirrt sich ein sowjetisches U-Boot in schwedische Gewässer, läuft bei Karlskrona auf Grund und sorgt für allseitiges Säbelrasseln am Rande der nuklearen Katastrophe. Es überrascht daher wenig, dass die Erhitzung des Kalten Krieges vom Achtziger-Drama “War Games” bis hin zu einem Dutzend filmischer Kubakrisen bislang tendenziell auf detailversessen freudlose Art nachgestellt wurde.

Zudetailversessen freudlos, dachte sich da womöglich der schwedische Bestsellerautor Jonas Jonasson (“Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg…”) und hat gemeinsam mit Henrik Jansson-Schweizer (Drehbuch) die brandgefährliche Realität von damals in ein satirisches Feuerwerk verwandelt, das es mit der Wirklichkeit höchst ungenau nimmt. So gerät im Film das damals auch real von den Schweden U-137 getaufte Boot dank besoffener Seeleute vom Ost-Kurs nordwärts ab, wo zwei Fischer das havarierte Unterseeboot entdecken und der Regierung melden. Schon da macht Regisseur Björn Stein durch fiebrige Close-ups auf skurrile Figuren in überzeichneter Ausstattung klar, dass ihm historische Genauigkeit weit weniger wichtig ist als landestypische Klischees.

Vom vermeintlichen Angriff aufs neutrale Schweden erfährt Premier Thorbjörn Fälldin (Rolf Lassgard) folgerichtig im eigenen Schafstall, bevor er fünf halbe Stunden lang zwischen dem senilen Alkoholiker Leonid Breschnew (Kestutis Stasys Jakstas) und dem eitlen Cowboy Ronald Reagan (Mark Noble) vermittelt – ein Unterfangen, das durch seinen angriffslustigen Stabschef Lagerkrantz (Niklas Engdahl) ebenso erschwert wird wie durch den lebensmüden Kapitän Peskov (Andrius Bialobzeskis). Und irgendwann tauchen natürlich auch noch CIA und KGB in der skandinavischen Idylle auf.

“Whiskey on the Rocks” lautete schon 1981 die medial gebräuchliche Beschreibung des gestrandeten Tauchbootes auf schwedischem Fels, da der sowjetische U-Boot-Typ von der Nato als “Whiskey-Klasse” bezeichnet wurde. Und auch die Serie nimmt weder die Eskalation jener bewegten zehn Tage im Herbst noch ihre handelnden Charaktere an niedrigste bis höchster Stelle für voll. Ob das nun witzig oder respektlos, angebracht oder unangemessen ist, hat Stanley Kubrick aber schon 1964 in “Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben” beantwortet. Angesichts der aktuellen Lage zeugt es von gutem Timing und wirft ein satirisches, aber stichhaltiges Schlaglicht auf die weltpolitische Situation von heute.

So reiht sich “Whiskey on the Rocks” in die Galerie sehenswerter Satiren über das schrecklich humorlose Kriegshandwerk ein. Viel hängt dort allerdings nicht. Chaplins “Der große Diktator” natürlich, “Catch-22” und “M*A*S*H*” oder zuletzt “Wag the Dog” – das war’s auch schon.

Die frische Hängung “Whiskey on the Rocks” ist da definitiv die farbenfrohste, bildgewaltigste, durchgeknallteste, trotz aller Absurdität aber eben auch realistischste. “Eine Comic-Oper”, wie der Sprecher einer echten Nachrichtensendung Ende 1981 die Ereignisse nennt. Es hätte furchtbar schiefgehen können. Bei der heutigen TV-Serie auch. Aber beides ging gerade noch mal gut.