Marne. Sonntagmorgen kurz nach zehn Uhr. In der Maria-Magdalenen Kirche in Marne singen die Gottesdienstbesucher den Choral „Gott ist gegenwärtig“. Begleitet werden sie von Ann-Christin Lau an der Orgel. Kaum jemand ahnt, dass die junge Organistin weder Noten noch Tasten sehen kann. Die 24-Jährige aus Buchholz in Dithmarschen ist von Geburt an blind. „Das ist manchmal etwas nervig“, fasst Ann-Christin Lau ihr Handicap schlicht zusammen. „Aber das ist nun mal so.“
Ihre Musikleidenschaft lässt sich die junge Frau deswegen nicht vermiesen. Im Gegenteil, denn die begeisterte Keyboardspielerin hat sich nun sogar für die Orgel entschieden, die auch als Königin der Instrumente bezeichnet wird. Seit sechs Wochen nimmt sie bei dem Kirchenmusiker Peter Heeren (53) in Marne Orgelunterricht. „Früher bekam ich immer eine Gänsehaut, wenn ich irgendwo eine Orgel gehört habe“, sagt Ann-Christin Lau. Mit der linken Hand schiebt sie sich eine Strähne ihres dunklen, glatten Haares hinters Ohr. „Es war für mich immer ein Traum, auch mal so ein tolles Instrument spielen zu dürfen.“
Unkonventionelle Lehrmethoden
Kirchenmusiker und Organist Peter Heeren machte nun diesen Traum wahr. Er kannte seine neue Schülerin bereits als talentierte Chorsängerin – und wurde auch jetzt nicht enttäuscht. „Chrissy ist sehr ehrgeizig und lernt viel“, lobt er seine Schülerin. „Dadurch, dass sie sich nur auf ihr Gehör konzentriert, strahlt sie beim Spielen eine sehr angenehme Ruhe aus.“
Die unkonventionellen Lehrmethoden nimmt Peter Heeren für seine Schülerin gerne in Kauf. Er spielt ihr jede Melodie an der Orgel vor. Die 24-Jährige nimmt sie dann mit ihrem Handy auf. Dabei geht es nicht nur um eine, sondern um drei bis vier Melodien, denn ein Choral wird mit beiden Händen und einem oder beiden Füßen gespielt. Wenn Ann-Christin Lau jede einzelne Melodie gut spielen kann, werden die Stimmen zu einem kompletten Musikstück zusammengefügt.
Um die richtigen Töne auf der Orgeltastatur erklingen zu lassen, orientiert sich die zierliche 24-Jährige an den schwarzen Tasten, die in Zweier- oder Dreiergruppen oberhalb der weißen liegen. Wie zum Beweis tasten sich die schmalen Finger ihrer rechten Hand über das Manual und bleiben an einer schwarzen Zweiergruppe hängen. Der Zeigefinger gleitet zielstrebig von den schwarzen Tasten auf die weiße Taste links daneben. Lau strahlt und erklärt: „Hier ist das C und wenn ich das erstmal habe, komme ich gut weiter.“