Da ist dieses Foto. Schwarz-weiß, ein bisschen verblichen, die Ränder gezackt. Vorne sitzen Frauen und Mädchen auf Stühlen. Hinter ihnen stehen die Jungen und Männer. Alle irgendwie steif. Das Ganze wirkt altmodisch: Frisuren, Röcke, Jacken und Schuhe. Aber auch ein bisschen geheimnisvoll.
„Wer ist das da?“, fragen dich die Kinder. Und du, ja, kommst ins Stottern. Deine Mutter hatte es dir vor langer Zeit mal erklärt. Aber das hast du natürlich nicht alles behalten, und aufgeschrieben leider auch nicht.
Das rächt sich jetzt. Der dahinten, das müsste Opa Erich sein. Und daneben sein Bruder Karl. Oder sein Cousin? Da vorn, die kleine, uralte, das ist Auguste, die Stammmutter der ganzen Sippe. Und daneben, die kleine, das ist deine Mutter, inzwischen auch verstorben. Aber der Rest?
Schon Kinder sind neugierig, wenn sie plötzlich die alten Fotoalben sehen. Der Mensch interessiert sich für seine Vorfahren.
Und das Interesse nimmt zu. War die Ahnenforschung bisher eher eine Angelegenheit für Spezialisten, eröffnen mittlerweile Computer und Internet auch dem Laien immer mehr Möglichkeiten, nach seinen Vorfahren zu forschen.
Warum faszinieren uns unsere Ur- und Ururgroßeltern?
Es scheint eine natürliche Regung des Menschen zu sein. Ein Bekannter kann seine Familie bis ins frühe 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Ein kunstvoll gemaltes Bild des Stammbaums dokumentiert das, gleich im Hauseingang. Dieser Mensch lebt in einer Gegend, in der seit Generationen Wert auf Abstammung und Familienzusammenhalt gelegt wird. Die Sippe kann sogar ein Familienwappen vorweisen.
Wie viel stärker mag die Sehnsucht sein bei Menschen, die all das nicht haben: eine Großfamilie um sich herum. Das Wissen um Zusammenhänge. Die Selbstverständlichkeit der eigenen Herkunft. In den USA kann man das erleben. Dort, wo ständige „Mobilität“ gefordert ist, und es für Menschen völlig normal ist, wenn sie alle paar Jahre weiterziehen, oft genug quer über den Kontinent, ist Entwurzelung häufig die Folge. Entfremdung.
Das war auch bei der Generation der Vertriebenen hierzulande und ihren Kindern zu erleben. Als die Menschen aus Ostpreußen, Schlesien, Pommern, dem Sudetenland nach dem Krieg in den Westen kamen, ließen sie ihre Familienbande weitgehend zurück. Ein paar Schwarz-Weiß-Fotos, wenn sie Glück hatten – das war alles, was ihnen blieb.
Wo komme ich her? Die Nachwachsenden schauen auf die Vorangehenden: Eltern, ältere Gewister, Oma und Opa. Man sucht Ähnlichkeiten, Vorbilder, Unterschiede. Abgrenzungen. So entsteht Identität, das Bild von sich selbst. Letztlich steht hinter der Ahnenforschung die Frage: Wer bin ich? Das ist wie ein Instinkt, eine Grundregung des Menschen.
Alle, denen diese Sehnsucht ins Herz gepflanzt ist, finden jetzt immer mehr Möglichkeiten, ihre Wissbegierde zu stillen: Digitale Medien machen es möglich (siehe Seite 16).
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Die Suche nach dem Ich
„Wer ist das da?“ Schon Kinder sind neugierig, wenn sie ihre Vorfahren auf alten Fotografien entdecken. Die Suche nach den Ahnen ist eine Grundregung. Moderne Medien helfen dabei