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Die Kinder des Pfarraos

Vitus, Hugo und Philo – die Sprösslinge einer Pfarrfamilie im Ruhrgebiet. Manchmal werden den Pfarrerskindern enorme Theologiekenntnisse unterstellt. Andere erwarten ein vorbildliches Sozialverhalten. Gelegentlich werden ihnen auch lustige Fragen gestellt

Vitus wurde schon als „Sohn Gottes“ vorgestellt. „Es ist echt erstaunlich, wie wenig manche Menschen über Religion und Kirche wissen.“ Vitus ist zwar auch Gotteskind. Sein irdischer Vater allerdings – Christian Siebold – ist Pfarrer in Recklinghausen. „Manche wissen nicht, dass es ,Pfarrer‘ oder ,Pastor‘ heißt. Die sprechen vom ,Pfarrao‘ oder ,Priester‘“, sagt der 20-jährige Vitus. „Einer hat mich sogar mal gefragt, wann mein Vater Papst wird und ob er genug Geld verdient – wo er doch nur sonntags arbeitet.“
Pfarrerskind sein kann schon eine Herausforderung sein. Vitus, Hugo und Philo kennen es nicht anders. Ebenso ihre beiden älteren Geschwister, die bereits nicht mehr zu Hause leben. „Pfarrers Kinder, Müllers Vieh, geraten selten oder nie“ – auf dieses Sprichwort angesprochen, schauen die drei Jungs leicht verwundert. „Nie gehört“, sagen sie. Dazu sind sie vielleicht zu jung. Den Eltern Christian und Maike Siebold ist es vertraut. Maike Siebold sagt: „Es geht ja noch weiter: ,Wenn doch eins gelingen tut, ist es ne besondre Brut.‘“ Das Sprichwort habe bei ihnen allerdings nie eine Rolle gespielt.
„Aber es ist schon so, dass wir mit anderen Augen gesehen werden“, sagt Hugo. „Meine Kumpels machen oft Witze darüber, dass mein Vater Pfarrer ist.“ Der 17-Jährige findet das aber nicht schlimm. Im Gegenteil. „Ich mag das.“ Er sagt dann schon mal selbst etwas wie: „Klar, bevor wir laufen konnten, konnten wir schon übers Wasser gehen.“ Philos (14) Erfahrungen sind etwas anders: „Die meisten meiner Kumpels wissen gar nicht, dass Papa Pfarrer ist. Und wenn – ihnen ist das egal.“
Alle drei sind sich einig, dass sie als Kinder aus einem Pfarrhaus mit anderen Maßstäben gemessen werden. „Uns wird moralisch mehr zugetraut“, sagt Hugo. „Aber es wird auch mehr von uns gefordert.“ Das merken sie vor allem in der Schule. „Im Reli-Unterricht werde ich darauf angesprochen, die Lehrer denken, ich muss dies oder jenes wissen oder aus dem Gottesdienst kennen. Und oft ist das auch so.“
Auch Vitus erlebt, dass er in diesen Dingen auf jeden Fall einen Wissensvorsprung hat. „Da bekommen wir in der Familie schon viel mit.“ Aber es ist nicht nur das Wissen. „Ich habe auch erlebt, dass beten hilft. Früher hatte ich oft Albträume. Dann habe ich gebetet, danach war es besser. Und schließlich hörten sie ganz auf.“ Hugo nickt. „Ich bete jeden Abend. Das hilft mir.“

Eine Vorab-Sympathie als Pfarrerskind

Die drei Brüder sehen viele Vorteile in ihrer Familiensituation. „Ich habe zwar nicht viel Blödsinn gemacht in der Schule, aber wenn – dann dachten die Lehrer als letztes an mich. ,Nee – der Vitus doch nicht‘, hieß es dann.“ Auch mehr Intelligenz sei ihm unterstellt worden. Hugo hat den Eindruck, er bekommt gleich eine gewisse Vorab-Sympathie, wenn er jemanden neu kennenlernt. „Wenn die hören, dass mein Vater Pastor ist, denken die von mir gleich: ,Der ist nett. Der hat nix Böses. Ein Lieber.‘“
Das ist bei Vitus ähnlich. Ihn allerdings nervt das schon mal. „Ich bin nett, weil ich ich bin und nicht, weil mein Vater Pfarrer ist.“ Gleichzeitig räumt er aber ein, dass er sich schon manchmal in Sachen Blödsinn zurückgehalten hat – gerade in der Schule. „Ich wollte nicht, dass das auf meine Eltern zurückfällt.“ Maike und Christian Siebold huscht bei diesen Worten ein Lächeln über das Gesicht.
In der Familie Siebold hat das Theologen-Dasein Tradition, für Christian Siebold bereits die siebte Generation. „Ich hatte überlegt, das fortzuführen“, sagt Vitus. Er hat angefangen, Theologie zu studieren. Aber verschiedene Gründe haben ihn dazu bewegt, das Fach zu wechseln. „Ich vermute, das geht alles immer mehr zurück mit den Gemeinden und so. Ich möchte nicht später mal in der Kirche stehen und keiner kommt und hört zu.“ Außerdem kam er mit seinen Kommilitonen nicht so gut klar. „Ich hatte den Eindruck, manche flüchten sich in das Theologiestudium, weil sie mit dem Leben nicht so recht klarkommen.“
Hugo hat noch Zeit, trägt sich aber mit dem Gedanken, Theologie zu studieren. Er könnte sich das vorstellen. „Ich finde das Familienleben gut. Ich mag das Umfeld, die Gemeinde.“ Aber: „Momentan tendiere ich mehr zu Sport“, sagt er. „Mal sehen.“
Für die Eltern wäre es auch kein Problem, wenn keiner ihrer Söhne Theologie studiert. „Das ist echt gut an unseren Eltern – sie machen uns da wenig Druck“, sagt Hugo. „Sie lassen uns viel selbst entscheiden, zum Beispiel, ob wir in die Kirche gehen.“ Sein Vater nickt. „Wir erwarten tatsächlich nicht so viel. Gut, Weihnachten sollen sie eines der vielen Angebote wahrnehmen.“ Philo geht schon mal gern in den Gottesdienst, hat dafür auch spezielle Gründe: „Ich habe da mein erstes Geld verdient“, sagt er. Er kennt sich sehr gut mit Technik aus und kümmert sich darum, wenn etwa ein Bildschirm benötigt wird.

Es ist immer etwas los im Pfarrhaus

Eine Herausforderung für die Brüder war eine zeitlang das Prinzip des offenen Pfarrhauses. „Da haben unsere Eltern ein großes Herz“, sagt Vitus. So kommt es schon vor, dass jemand eine Weile bei ihnen wohnt. Einmal hat ein Jugendlicher Zuflucht gesucht und war für mehrere Monate im Hause Siebold untergekommen.  „Das war cool mit dem“, sagt Vitus.
Immer wieder klingeln Wohnungslose an der Tür. „Die haben mir früher Angst gemacht“, erinnert sich Hugo. Einmal wollte er sein Fahrrad aus der Garage holen, „dann lag da einer und schlief – ich bin zu Tode erschrocken“. Er habe sich danach wochenlang nicht mehr in den Keller getraut. „Aber im Rückblick finde ich das gut, weil ich keine Berührungsängste mehr habe.“
Nach wie vor klingelt es oft an der Tür bei Siebolds. „Heute helfen alle, bieten etwas zu essen und zu trinken an, geben mal ein bisschen Geld und unterhalten sich mit den Menschen“, sagt Maike Siebold. Vitus nickt: „Auch wenn ich in der Stadt unterwegs bin und sehe jemanden in Mülleimern wühlen, drücke ich ihm schon mal bisschen Geld in die Hand.“ Hilfsbereitschaft finden sie wichtig. Einmal allerdings ging Vitus die Nächstenliebe seiner Mutter doch etwas zu weit: „Sie hat einem Wohnungslosen meine Lieblingsjeans geschenkt.“
Ansonsten aber sind sie gerne Pfarrerskinder. Philo schätzt besonders die Wohnsituation. „So ein Pfarrhaus ist toll, da hat man keine Nachbarn, muss nicht so leise sein und Rücksicht nehmen.“ Außerdem genießen sie es, dass der Vater auch tagsüber mal zu Hause ist und Zeit für sie hat. Im Vergleich mit Kumpels fiel Vitus auf: „Ich glaube, wir können mit Themen wie Depression, Trauer, Verlust besser umgehen als manch andere Gleichaltrige. Wir finden da Worte, weil über so etwas bei uns ganz selbstverständlich geredet wird. Wenn jemand Hilfe sucht oder jemand gestorben ist und Papa Beerdigungen halten muss.“
Dass die drei Siebold-Jungs leicht im Gedächtnis bleiben, das führt Hugo aber nicht nur auf das Pfarrerskinder-Dasein zurück. „Wir haben alle auch ziemlich ausgefallene Namen. Ich glaube, das macht auch was aus.“ Könnte sein.