An das Leid der Opfer des Nationalsozialismus haben Vertreter aus Politik und Gesellschaft zum 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau erinnert. Bei der zentralen Gedenkfeier am Sonntag in Dachau appellierten sie, Radikalismus heute keinen Raum mehr zu bieten. So warb Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) für eine politische Streitkultur, die trotz unterschiedlicher Anschauungen „niemals Menschen persönlich bekämpft“.
Die Nationalsozialisten hätten in ihrem ersten Konzentrationslager in Dachau ab März 1933 vor allem politische Gegner inhaftiert, „mutige Männer und Frauen, die sich dem Zwang und der Unterdrückung entgegenstellten“, sagte Klöckner. Als Präsidentin des Deutschen Bundestages verneige sie sich vor diesen Menschen.
Rund 1.700 Gäste hatten sich im Festzelt in Dachau eingefunden, um des Tags der Befreiung durch die Alliierten am 29. April 1945 zu gedenken. Darunter waren Überlebende, Befreier, deren Familien und Nachkommen sowie internationale Vertreter aus Politik, Kirchen, Gesellschaft, Opferverbänden, US-Diplomatie und US-Militär. Zum 60. Jahrestag 2005 waren noch rund 1.000 Überlebende angereist, nun kamen acht hochbetagte Zeitzeugen mit Angehörigen. Auch Bud Gahs war zugegen, der als US-Soldat der 42. Infanteriedivision (Regenbogen-Division) bei der Befreiung dabeigewesen war.
Klöckner verwies darauf, dass die Gedenkstätte vor 60 Jahren nur dank ehemaliger KZ-Häftlinge eröffnet werden konnte. Deren Engagement habe Dachau als „Gedenkort der nationalsozialistischen Verbrechen gesichert“, gegen den Widerstand einer Gesellschaft, „die am liebsten weiter geschwiegen hätte“. Für die „unermüdliche“ Erinnerungsarbeit dankte sie den Zeitzeugen, darunter Abba Naor, Leslie Rosenthal, Jean Lafaurie und Mario Candotto.
Die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Gabriele Hammermann, sagte, weltweite Trends wie das Erstarken autoritärer Bewegungen stellten Gedenkstätten vor Herausforderungen. Ausgehend vom historischen Ort müssten sie „Entwicklungen einordnen und Wissen vermitteln“, gerade auch an die Jugendlichen.
Der Dank an die Befreier „wird zeitlos bleiben“, sagte der Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, Karl Freller. Er erinnerte an den „ungebrochenen Willen zur Freiheit“ bei den KZ-Häftlingen und gemahnte an die Verantwortung, „die Werte der Freiheit und der Menschlichkeit in unserer Gesellschaft zu bewahren“. Dazu gehöre, die demokratische Gewaltenteilung zu schützen, den Antisemitismus zu bekämpfen und das Existenzrecht Israels nie in Frage zu stellen.
Veteran Gahs reagierte auf den langen Begrüßungsapplaus, der ihn als Befreier würdigte, humorvoll: „Ich habe das nicht allein getan.“ Er bewundere den Mut der Überlebenden: „Von ihnen haben wir gelernt, wie wichtig Hoffnung und die Stärke des menschlichen Geistes sind.“ Mehrere Überlebende, darunter Abba Naor, berichteten von ihren Erinnerungen an das Grauen und die Befreiung.
Der Präsident des Comité International de Dachau, Dominic Boueilh, erinnerte an den „Nie wieder“-Schwur von KZ-Überlebenden 1945. Letztlich bedeute er, dass ein Volk nie wieder angegriffen werden darf, sagte Boueilh. Dennoch erreiche zurzeit „das Unheil einen neuen Höhepunkt“. Entscheidend sei das Handeln jedes Einzelnen im Alltag.
„Erinnern heißt: Begreifen, was war, was ist, was werden kann“, sagte Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU), die Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vertrat: „Wer Radikalismus bekämpfen will, muss verstehen, wo und warum er entsteht.“ Appelle allein reichten nicht: „Wir brauchen Räume, wo Gemeinschaft entsteht, wo der Mensch zählt.“
Laut Bayerns Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) zeigen die Gedenkstätten, was „wahre Geschichte“ ist. Sie warnte vor „Hebeln der Herrschaftstechnik“, Stimmungsmache mit Hass und der „Macht des Diktatorischen“. Es gebe einen „neuen Kulturkrieg“, befeuert durch klare Feindbilder. Sie appellierte, „gegen die Normalisierung deutscher Verbrechensgeschichte“ zu kämpfen: Die offene Gesellschaft mit ihren Regeln von Anstand und Versöhnlichkeit sei „wirklich das Allerbeste, was wir haben“.
„In Dachau entzogen Menschen anderen Menschen systematisch das Menschsein“, sagte der evangelische Landesbischof Christian Kopp zuvor beim ökumenischen Gedenkgottesdienst in der Klosterkirche des Karmel Heilig Blut. Viele seien gestorben, „weil eine bestimmte Haltung, eine bestimmte Kultur ausgelöscht werden sollte“. Seine Kirche habe damals laut geschwiegen. Nur wenige Protestanten wie Dietrich Bonhoeffer seien gegen das NS-Regime aufgestanden. Bonhoeffer habe Trost in einem „aktiven, trotzigen Glauben an die Unantastbarkeit der Menschenwürde“ gesucht.
Der Generalvikar der Erzdiözese München und Freising, Christoph Klingan, sagte: Menschen Freiheit, Hoffnung und Zukunft zu ermöglichen sei „ein Auftrag auch an uns heute“. Klingan kam stellvertretend für Kardinal Reinhard Marx.
Das Konzentrationslager Dachau wurde am 22. März 1933 auf Anordnung von SS-Reichsführer Heinrich Himmler errichtet und zum „Musterlager“ für alle weiteren KZ ausgebaut. Bis 1945 waren hier über 200.000 Menschen inhaftiert, über 41.500 von ihnen kamen aufgrund der unmenschlichen Haftbedingungen, Folter und Schikane ums Leben. Am 29. April 1945 befreiten US-Truppen das KZ Dachau. (1495/04.05.2025)