Am Karfreitag erklingt die Orgel zum letzten Mal, und auch die Glocken schweigen bis zum Ostermorgen. Das ist ein starkes Symbol – normalerweise: In die von Hast getriebene Welt kehrt für kurze Zeit Ruhe ein. Ruhe, die der inneren Einkehr dient; dem Blick auf das eigene Leben und dem Nachspüren, was Gott für uns getan hat.
Aber was ist in diesem Jahr schon normal? Der Stillstand brach bereits vor Wochen in unsere Welt ein. Das Innehalten ist jedoch für einen Großteil der Menschen keine bewusste Entscheidung, sondern ein erzwungenes Muss. Und es führt zunächst einmal nicht in die Ruhe, sondern in die Sorge: Wie geht es meinen Lieben, die ich jetzt nicht besuchen darf? Was ist mit meiner Arbeitsstelle, meiner Wohnung, meiner ganzen Existenz?
Andererseits wird vieles, was bisher undenkbar war, plötzlich denkbar. Dass wir uns körperlich nicht mehr so frei bewegen können, wie wir es gewohnt sind, fordert uns zu mehr geistiger Bewegung heraus. Der Stillstand öffnet Räume – für Improvisation, neue Ideen, und vielleicht auch für die Einkehr, die sonst vor allem auf die Karwoche konzentriert war.
Wenn der Tagesablauf ohnehin ganz neu strukturiert werden muss, warum dann nicht Zeiten für genau diese Einkehr einplanen? Kleine Rituale der Stille mit Gott, ein paar Minuten nur. Nicht zu viel auf einmal, denn alles Ungewohnte braucht seine Zeit, um vertraut zu werden.
Vielleicht eine Kerze, die abends ins Fenster gestellt wird, mit ein paar guten Gedanken an die, die uns im Herzen nah sind – wer einmal auf diese Weise mit Fürbitten beginnt, wird merken: Es werden täglich mehr. Oder ein Vaterunser, wenn die Glocken abends läuten, wie es jetzt in vielen Gemeinden Brauch ist.
Und warum nicht auch eine Ecke in einem Zimmer mit Kissen oder Gebetsschemel, einer Karte mit einem Bibelvers, einer Ikone oder irgend etwas anderem, das uns beim Stillwerden und Beten hilft – und dazu eine feste Zeit am Tag, in der wir einfach nur da sind, in Ruhe bei uns und bei Gott?
In solchen neuen Ritualen können wir uns wie in den alten Traditionen verbunden wissen mit all den anderen Christinnen und Christen, die wie wir innehalten und beten. Gleichzeitig liegt darin eine Gewissheit: Wir sind nicht alleingelassen in dieser Situation; wir sind in etwas Größerem aufgehoben, das die Beschränkungen, mit denen wir gerade leben müssen, übersteigt.
Im Gebet oder in der Stille vor Gott öffnet sich Weite für die Seele und führt uns zu einem anderen Blick: Wir bestehen nicht nur aus unserem Körper und seinen Funktionen, auf die im Moment so ängstlich gestarrt wird; wir leben davon, dass Gott uns als ganze Menschen wahrnimmt.