Artikel teilen:

Die Frau, die ihre Taschentücher wäscht

Irgendwo muss man einfach anfangen, wenn man die Welt verbessern möchte. Darum kaufte Laura Konieczny sich 50 wiederverwendbare Stofftaschentücher – und versucht ihr Bestes, um den Menschen und der Umwelt mehr zu nutzen als zu schaden

Eine Plastikdose hat Laura Konieczny immer dabei. Moment – eine Plastikdose? Wie passt das zusammen mit dem plastikfreien Leben, einem Nachhaltigkeits-Konzept, dem sich die 24-jährige Castrop-Rauxelerin verschrieben hat?
Über diesen Einwand kann Laura nur lachen. „Ich sehe das ganz entspannt“, sagt die junge Frau. „Die Dose ist praktisch. Ich kann mir kleine Einkäufe oder Imbiss-Mahlzeiten direkt hineinfüllen lassen. Sie hilft mir, jede Menge Müll zu vermeiden. Da schmeiße ich sie doch nicht weg, nur weil sie aus Plastik ist.“

Nachhaltig leben – mit Spaß

Diese Gelassenheit ist charakteristisch für Laura Konieczny. Sie bemüht sich, mit ihrer Lebensweise möglichst wenig Müll zu verursachen und auf Plastik weitgehend zu verzichten. Aber Stress? Nein, den macht sie sich deshalb nicht. „Ich bin überzeugt davon, dass es wichtig ist, sich für Nachhaltigkeit einzusetzen“, sagt sie, „aber es macht mir auch einfach Spaß. Darum klappt dieses Leben so gut für mich.“
Seit rund drei Jahren gehört Laura zu einer wachsenden Gruppe von zumeist jungen Menschen, die so leben möchten, dass sie Menschen und Umwelt möglichst wenig schaden. Schlagworte wie „plastikfrei“, „Zero Waste“ („Null Müll“) oder auch Minimalismus werden mit dieser Bewegung in Verbindung gebracht. Allen gemeinsam ist die Einsicht, dass wir Menschen viel mehr produzieren, kaufen und wegwerfen, als unsere Welt verträgt – und als uns auch psychisch gut tut.

Müllberge im Urlaubsparadies

Ein Urlaub auf Bali gab den Anstoß für Laura, diese Lebensweise komplett zu hinterfragen. „Da war zum einen unglaublich viel Müll, der einfach verbrannt wurde – dann war er weg. Und dafür wahrscheinlich jede Menge Schadstoffe in der Luft“, erzählt sie. Dazu kam eine Verletzung an einem der so paradiesisch unberührt wirkenden Strände: Laura schnitt sich den Fuß am herumliegenden Abfall. Damit war klar: Müll macht kaputt. Die Menschen, die Natur, die ganze Welt. Und: „Um etwas dagegen zu tun, muss ich bei mir anfangen. Egal wo. Jeder Schritt zählt“, sagt sie.
Das Gegenmittel heißt Reduzieren: Verpackung, Plastik, Kleidung, Shoppen, Autofahren. Kurz gesagt: Verzicht – wobei Laura dieses Wort nicht mag. „Ich schaue auf das, was ich stattdessen bekomme“, stellt sie klar. Das kann zum Beispiel ein gesünderes Leben sein. Oder ein bewussterer Umgang mit Besitz und Zeit. Laura ist überzeugt: „Unterm Strich ist das ein Mehrgewinn – für mich und für die Welt.“
Jetzt aber mal praktisch. Lebensmittel, Putzmittel, Medikamente, Haushaltsgeräte, Hygiene-Artikel – überall Plastik. Ein Leben ohne (Plastik-)Müll ist doch so gut wie unmöglich, oder? Natürlich benutzt auch Laura weiter Plastikprodukte: Smartphone und Tablet-Computer sind unumgänglich, und die oben erwähnte Tupperdose ein Überbleibsel, das zu praktisch und zu schade ist zum Wegwerfen.
Aber in vielen anderen Bereichen lassen sich mit etwas Kreativität Alternativen finden. Neben den Klassikern wie Stoffbeutel statt Plastiktüte oder Leitungswasser statt PET-Flaschen hat Laura sich an immer weitere Möglichkeiten der Müllvermeidung herangearbeitet. Oder im Internet um Rat gefragt, wenn sie selbst keine Idee hatte – „mein Netzwerk ist da wirklich sehr hilfreich“, wie sie erzählt.

Für Kosmetika reichen wenige Zutaten

Haarewaschen geht zum Beispiel mit einer Trockenseife genauso gut wie mit flüssigem Shampoo. Zahnpasta kann man durch Kautabletten ersetzen und das Duschgel durch das gute alte Seifenstück. Diese Mittel kauft Laura im Unverpackt-Laden oder über einen Internet-Versand; die Plastikverpackung fällt dann jeweils weg.. „Hier, diese Haarseife ist gerade gekommen“, sagt sie und wickelt einen kleinen weißen Block aus einer Papierverpackung. „Einfach in die nassen Haare einmassieren und auswaschen. Das riecht himmlisch!“ Und aufbewahrt in einer kleinen Blechdose, ist die Seife auch reisetauglich.
Viele ihrer Kosmetika macht Laura inzwischen sowieso lieber selbst. Einige wenige Rohstoffe reichen – mit Natron, Kernseife, Kokosöl und ein paar Aroma-Ölen kommt man schon ziemlich weit. Nimmt man noch Essig dazu, so kann man auch eine ganze Palette an Reinigungsmitteln ersetzen. Als Nebeneffekt weiß man genau, welche Inhaltsstoffe auf die eigene Haut kommen. Und man vermeidet das besonders gefährliche Mikroplastik, das in vielen Kosmetika als Peeling-Material oder für optische Verbesserungen verwendet wird und durch die Filter von Kläranlagen in Flüsse und Meere gelangt.
Auch in anderen Bereichen geht noch was. „Ich liebe zum Beispiel asiatisches Essen“, erzählt Laura. Um die Wegwerf-Stäbchen aus Holz zu vermeiden, gehört in ihr Überlebens-Set, das sie immer dabei hat, auch ein Paar wiederverwertbarer Essstäbchen. Ein normales Besteck steckt auch in der Stofftasche, für Picknick oder Essen vom Imbiss. Außerdem ein kleines Netz für Brezel – „die kaufe ich mir oft am Bahnhof, weil ich die so lecker finde“ – und die erwähnte Plastikdose. Für das ganze Zeug hat Lauras Mutter ihr nach ihrem Entwurf ein Etui aus buntem Stoff genäht. So ist alles praktisch verstaut und leicht mitzunehmen.
Das Etui hat noch einen Mehrwert: Laura wird darauf angesprochen. Wenn sie dann ihre Lebensweise erklärt, erntet sie häufig ein Schmunzeln, selten Kritik. „Viele sind interessiert und lassen sich inspirieren, selbst etwas auszuprobieren“, erzählt sie. Natürlich ist ihr auch schon das Argument begegnet, dass das alles doch gar keinen Sinn hat. „Aber ich lasse mich doch nicht abhalten, weil andere das doof finden!“, sagt Laura.

Eine Lösung auch für Taschentücher

Und dann sind da noch die Stoff-Taschentücher. Mehrere Dutzend besitzt Laura, und natürlich werden sie nach dem Benutzen gewaschen und wiederverwendet. „Das fanden meine Freunde anfangs voll eklig, mit den vollgeschnupften Taschentüchern rumzulaufen.“ Aber Laura wäre nicht sie selbst, hätte sie nicht auch hier eine Lösung gefunden: Zwei Stofftäschchen stecken im Etui, eins für saubere und eins für schmutzige Taschentücher.
All das klingt nach einem entspannten Lebensstil mit Konzentration auf das Wesentliche. Aber ist so ein Leben nicht zeitaufwendig und wegen der vielen ungewöhnlichen Produkte auch teuer?
Laura lacht. „Das fragen mich die Leute immer wieder. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Auf lange Sicht spart es Zeit und Geld.“ Sicher: Die Umstellung auf eine andere Art des Einkaufens erfordert erst einmal Aufwand. Der schnelle Sprung in den Supermarkt um die Ecke ist nicht mehr möglich. Aber hat sich erst einmal eine Routine eingestellt, dann läuft das Ganze wie von selbst: Alles sechs bis acht Wochen ein Einkauf für „Trockenes“ wie Reis, Hülsenfrüchte oder Müsli im „Unverpackt“-Laden, und für frische Lebensmittel der Wochenmarkt oder der Biohof.
Und was tun, wenn es eben doch der Supermarkt sein muss und die Bio-Tomaten aus Holland eingeschweißt neben der unverpackten konventionell angebauten Tomaten aus Spanien liegen? „Da muss jeder für sich entscheiden, wo seine Prioritäten liegen“, meint Laura. Auch hier gilt: Es geht nicht um Perfektionismus, sondern um die kleinen Schritte, die nach und nach zu großen werden.

Kein Perfektionismus, sondern kleine Schritte

Inzwischen hat das, was mit kleinen Schritten anfing, für Laura sogar zu einem Beruf geführt: Sie ist auf dem Sprung in die Selbstständigkeit. Berufsbezeichnung? „Zero Waste“-Beraterin vielleicht. Geplant sind Workshops zur Müll- und Plastikvermeidung in Läden und in Schulen. Die zweite Idee: Konzepte für Musikfestivals zu entwickeln. Denn Festivals sind eine Leidenschaft von Laura; die Müllberge dort aber lassen sie schaudern. Die möchte sie gemeinsam mit den Veranstaltern verringern. Ihr Traum ist ein Müllkonzept für das Mega-Festival „Rock am Ring“ auf dem Nürburgring in der Eifel, zu dem jährlich mehr als 80 000 Besucher kommen.
Aber erstmal fängt sie klein an. Wie immer.

Laura Konieczny im Internet: www.zerowasteyourlife.de.