Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschafter, Kriegsversehrte: Der Regensburger Widerstand gegen das NS-Regime hatte viele Gesichter. Eines von ihnen war Franz Höhne (1904-1980), SPD-Stadtrat im Jahr 1933. Nur eineinhalb Monate nach Hitlers Machtergreifung am 30. Januar 1933 wird er mit etwa 200 anderen Oppositionellen in „Schutzhaft“ genommen, wie es damals hieß. Als politische Gefangene wurden sie in die Augustenburg, das Regensburger Gefängnis, gesperrt und später von der Gestapo ins erste deutsche Konzentrationslager nach Dachau gebracht.
„Es war eine der vielen Willkürmaßnahmen der Nazis, denen Regimegegner ausgesetzt waren“, sagt Hans Simon-Pelanda, Ehrenvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft ehemaliges Konzentrationslager Flossenbürg. Die Autobiografien dieser Menschen hat der Trägerkreis aufbereitet. „Für mich endet die Verfolgungsgeschichte nicht mit der Befreiung 1945 und auch nicht mit dem Tod der jeweiligen Protagonisten.“ Ihr Leben und Leiden habe stark in das Leben der Familien und Umgebung hineingewirkt. Das sei auch in den vergangenen zehn Jahren in der Forschung mehr und mehr in den Vordergrund gerückt. Deshalb befragten sie heute die dritte Generation, ob und wie die Geschichte des Großvaters ihr Leben auch heute noch bestimmt.
In vielen Familien durfte über diese Zeit nicht gesprochen werden. „Es hatte unter dem Deckel zu bleiben“, erläutert Simon-Pelanda. Meist wurde mit der Recherche auch erst nach dem Tod der verfolgten Personen begonnen. Sigi Höhne, der Großneffe von Franz Höhne, hat es so erlebt: „Mein Vater erzählte zwar, dass der Großonkel zweimal im KZ war, aber was genau war, wusste man nur am Rande.“ Als sie den Großonkel nach dem Attentatsversuch auf Hitler am 20. Juli 1944 in der Aktion „Gitter“ nach Flossenbürg holten, sagte sein Vater: „Da war was los!“ Doch Details blieben im Dunkeln. Offenbar war die ganze Familie unter Generalverdacht gestanden, erzählt Höhne, der von Beruf Rundfunkreporter ist.
Sein Interesse für die Familiengeschichte wurde durch eine private Kunst-Aktion auf dem Regensburger Dachauplatz geweckt. 2016 war dort eine provisorische Gedenkstätte für die 200 Regensburger errichtet worden, die nach der Machtergreifung in Schutzhaft kamen. „Als ich da den Namen Franz Höhne las, hat mich das unheimlich bewegt. Ich wollte mehr erfahren.“ Obwohl sich Franz Höhne, der spätere SPD-Bundestagsabgeordnete (1949 bis 1969), aktiv gegen den Terror und die Propaganda des Naziregimes und seinen Vernichtungskrieg gestellt hatte, kam er mit dem Leben davon. Ein Foto von ihm existierte dennoch nicht in den Familienalben. Sein Großneffe musste es bei der Bundestagsverwaltung anfordern, um sich ein Bild machen zu können.
Viele Nazi-Gegner erlitten ein ähnliches Schicksal: Der Kommunist Michael Kumpfmüller wurde beispielsweise denunziert, weil er an verhungernde Zwangsarbeiter Lebensmittel verteilte. Er kam ins Strafbataillon 999. Nach dem Krieg erlebte er, wie Nazis mit Persilscheinen reingewaschen wurden, während er selbst erneut von einem Kriminalbeamten verhört und ins Gefängnis gebracht wurde, der ihm schon 1941 als Gestapo-Mann gegenüberstand.
Der Kriegsinvalide und Kommunist Josef Haas war Mitglied der „Neupfarrgruppe“. Als solcher wurde er im Februar 1943 von der Gestapo verhaftet und im August im KZ Flossenbürg ohne Todesurteil erschossen. Vor fast 40 Jahren setzte einigen dieser verfolgten Menschen der Regensburger Künstler Guido Zingerl ein Denkmal mit seinen Bildern aus dem Zyklus „Aufzeichnungen eines Donauschülers“. Er gab ihnen damit einen Platz im Stadtgedächtnis.
Bis heute sei bei der Aufarbeitung der Nazivergangenheit in Regensburg zu wenig geschehen, meinen die Mitglieder des Trägerkreises, zu dem unter anderem ehemals verfolgte und inhaftierte Sozialdemokraten, der Deutsche Gewerkschaftsbund und das Evangelische Bildungswerk gehören. „Ich finde, eine Stadt der Größe Regensburgs, die sich viel auf ihre Geschichte zugutehält, kann diesen Bereich nicht ausklammern“, sagt Simon-Pelanda. Erst vor wenigen Tagen schloss die Stadt einen Forschungsvertrag mit Universität Regensburg ab, die den Zeitraum von 1933 bis 1945 nun näher untersuchen soll.
Für Sigi Höhne steht fest: Dass er jetzt über seine Familiengeschichte öffentlich spricht, hat auch mit der aktuellen politischen Situation zu tun. „Dass der braune Mob wieder so wütet und die AfD mit ihren Nazi-Parolen so viel Zulauf hat: Immer wieder höre ich meinen 89-jährigen Vater sagen: Das kann doch gar nicht sein, wenn man selber erfahren hat, wie das damals war.“ (00/3306/05.11.2024)