Mehr als 300 Menschen sterben pro Tag infolge hohen Tabakkonsums. Die Tabakindustrie habe in Deutschland zu großen Einfluss, spende Geld an Parteien oder werbe fürs Rauchen, kritisieren Forscher – und fordern einen Kurswechsel.
Auf dem globalen Tabaklobby-Index, der die Einflussnahme der Tabakkonzerne auf die Politik misst, erreicht Deutschland Platz 68 (von 100). Das ist weit abgeschlagen hinter anderen Ländern in Europa wie Finnland, Niederlande, Frankreich und Großbritannien. Eine hohe Zahl bedeutet eine starke Einmischung.
Der neue Report für Deutschland, den das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg am Dienstag vorgelegt hat, lässt wenig Hoffnung aufkommen, dass sich an dieser Platzierung so bald etwas ändern wird.
“Die Tabakindustrie ist die einzige Industrie, die ein Konsumprodukt vermarkten darf, das bei bestimmungsgemäßem Gebrauch die Hälfte derjenigen tötet, die es benutzen. In Deutschland sind dies jährlich rund 131.000 Menschen, die infolge des Tabakkonsums sterben, also rund 358 Menschen pro Tag”, schreiben die Autorinnen des deutschen Tabaklobby-Index, Laura Graen und Andy Hartard, in ihrer Einleitung. Der Einfluss der Tabakindustrie gelte weltweit als eines der größten Hindernisse im Kampf gegen das Rauchen. Bereits vor zwanzig Jahren hat Deutschland das globale Tabakkontrollabkommen, das Rahmenübereinkommen der Weltgesundheitsorganisation zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (WHO-FCTC), ratifiziert. Dort ist klar geregelt, dass gesundheitspolitische Entscheidungen vor dem Einfluss der Tabakindustrie geschützt werden müssen.
Die Realität sieht indes anders aus, wie der Report, der alle zwei Jahre erscheint, nachdrücklich zeigt. Eine große Rolle spielt das Geld. Laut Tabaklobby-Index haben Tabakunternehmen und Lobbygruppen im Jahr 2024 zwischen 6,5 und 7,2 Millionen Euro für die Interessenvertretung in Deutschland ausgegeben. Die Parteien werden sogar ganz direkt mit Geld versorgt: Im Jahr 2023 etwa spendete der Tabakkonzern Philip Morris jeweils 30.000 Euro an CDU, CSU, SPD und FDP. Dazu kommt das Sponsoring von Veranstaltungen: So hat 2024 der Bundesverband der Zigarrenindustrie das Sommerfest des Parlamentskreises Mittelstand von CDU/CSU mitgesponsert. Mit dabei: der heutige Bundeskanzler Friedrich Merz.
Reemtsma-Cigarettenfabriken wiederum gehörten 2023 zu den Sponsoren des Gartenfests des Seeheimer Kreises, einer konservativen Gruppe in der SPD-Bundestagsfraktion. Mit dabei: der heutige Bundesfinanzminister Lars Klingbeil.
Darüber hinaus findet ein reger persönlicher Austausch zwischen Tabakindustrie und Politik statt. Laut Tabaklobby-Index fängt dieser “Austausch” auf kommunaler Ebene an, etwa mit Bürgermeistern und Stadträten, und reicht über Begegnungen auf Landesebene mit Vertreterinnen und Vertretern von Ministerien oder Landtagen bis hin zu Gesprächen auf Bundesebene, beispielsweise mit Abgeordneten des Bundestags oder Vertreterinnen und Vertretern der Bundesministerien.
Auch das höchste Amt im Staate, das Bundespräsidialamt, kooperiert mit der Tabakindustrie. So ist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier – wie alle Bundespräsidenten seit 1973 – Schirmherr eines Geschichtswettbewerbs, der von der Körber-Stiftung durchgeführt wird. Was harmlos klingt, ist es aber nicht: Denn die Körber-Stiftung ist alleinige Eigentümerin der Körber AG, deren Dividenden an die Stiftung fließen. Bei der Körber AG handelt es sich um eine Unternehmensgruppe, die bei der Herstellung von Maschinen für die Tabakindustrie weltweit führend ist. Der Vorsitzende des Aufsichtsrats der Körber AG ist zugleich Mitglied im Stiftungsrat und Kuratorium der Körber-Stiftung. Offiziell wird der Konzern als “Technologieunternehmen” dargestellt, so werde der tabakwirtschaftliche Hintergrund verschleiert, heißt es dazu im Report des DKFZ.
Ohnehin werden nicht alle Interaktionen öffentlich. Auch dies monieren die Autorinnen des Tabaklobby-Index. So würden das Bundesfinanzministerium, federführend bei der Frage der Tabakbesteuerung, und das Bundeskanzleramt ihre Treffen mit der Tabakindustrie nicht offenlegen. Konkret heißt es im Report: “Anfragen des Deutschen Krebsforschungszentrums an das Bundesministerium für Finanzen und das Bundeskanzleramt nach Informationsfreiheitsgesetz wurden abgelehnt.”
Wie perfide das Vorgehen der Tabakkonzerne ist, zeigt beispielhaft die Verbindung zwischen Philip Morris Deutschland und der BDZ – der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft. So existiert ein gemeinsames Positionspapier, in dem es unter anderem heißt, dass “übermäßige Steuererhöhungen” den illegalen Handel fördern könnten. “Dies passt zu dem Narrativ der Tabakindustrie, dass gesundheitspolitisch effektive Steuererhöhungen in großen Schritten zu illegalem Handel führen würde”, warnen die Expertinnen des Deutschen Krebsforschungszentrums.
Die derzeit geltenden Regelungen zu Steuern auf Tabakwaren und E-Zigaretten-Liquids stammen laut dem Report aus dem Jahr 2021 und sehen minimale jährliche Steuererhöhungen bis zum Jahr 2026 vor. Auch Werbung sei nach wie vor möglich – an Verkaufsstellen wie Kiosken, Tankstellen und Supermärkten oder in Form von Promotion bei Veranstaltungen wie Musikfestivals sowie Direktmarketing per Post oder E-Mail. “Somit sind weiterhin zentrale Werbemöglichkeiten erlaubt, und ein umfassendes Verbot scheint derzeit in weiter Ferne”, heißt es im Report.
Ein großes Manko sieht das DKFZ auch darin, dass es seitens der Regierung kein Programm oder keinen Plan gebe, um das Bewusstsein innerhalb ihrer Ministerien für Richtlinien im Zusammenhang mit dem Tabakkontrollabkommen zu schärfen. Es existiere auch kein Verhaltenskodex für Bedienstete des öffentlichen Dienstes, der im Umgang mit der Tabakindustrie einzuhalten wäre. Auf Nachfrage der Forscher aus Heidelberg verweist das Bundeslandwirtschaftsministerium darauf, dass die Leitlinien zu Artikel 5.3 – der sich auf eine Begrenzung der Verflechtung von Tabakindustrie und Gesetzgeber bezieht – rechtlich nicht bindend, sondern “vielmehr als ‘Hilfestellung’ bzw. als ‘Goldstandard'” zu verstehen seien.
Was also empfiehlt das Deutsche Krebsforschungszentrum? Die Autorinnen Laura Graen und Andy Hartard verweisen auf ein Konzept für ein Maßnahmenpaket, das es bereits seit einigen Jahren gibt und von mehr als 50 Gesundheits- und zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstützt werde. Danach sollten die Tabaksteuern erhöht, die Werbung verboten und die Verfügbarkeit der Produkte reduziert werden. Die Vision: ein tabakfreies Deutschland im Jahr 2040.