München/Rom. Der Jubel in Deutschland war groß am Abend des 19. April 2005. Um Papst Benedikt XVI., bürgerlich Joseph Ratzinger, entstand ein Aufsehen wie sonst nur um Popstars. Er war der erste deutsche Papst seit der frühen Neuzeit. Unvergessen die Schlagzeile der „Bild“-Zeitung: „Wir sind Papst!“ In seiner alten Heimat in der Diözese Passau wurde Papst-Bier ausgeschenkt, und das Jugendmagazin „Bravo“ widmete dem damals 78-jährigen Pontifex aus Bayern ein eigenes Poster.
Passend dazu wurde er im Sommer 2005 mit einer riesigen Begeisterung beim Weltjugendtag in Köln empfangen. Doch kurz vor seinem 95. Geburtstag am Karsamstag geriet Benedikt wegen seines Umgangs mit katholischen Missbrauchstätern in die Schlagzeilen.
Umschwung erhofft
Nach seiner Wahl zum Papst erhofften sich viele einen Umschwung vom strengen Glaubenshüter hin zum Reformer. Doch Benedikt, ein in akademischen Kreisen hochanerkannter Theologe, widmete sich weiter seinen theologischen Schriften und verfasste etwa eine Jesus-Trilogie. Seinen Platz in den Geschichtsbüchern sicherte er sich schließlich 2013 durch seinen überraschenden Verzicht aufs Pontifikat. Ein Schritt, den es seit mehr als 800 Jahren nicht mehr gegeben hatte.
Joseph Ratzinger wurde am 16. April 1927 am Karsamstag im bayerischen Marktl am Inn geboren. Im Zweiten Weltkrieg war er als Luftwaffenhelfer im Einsatz, danach studierte er in München und Freising Theologie und Philosophie, 1951 wurde er zum Priester geweiht.
Von da an ging seine theologische Karriere steil nach oben: Der feingeistige Musikliebhaber wurde Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising, weitere Stationen waren Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg. 1977 wurde er Münchner Erzbischof, 1982 Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation unter Papst Johannes Paul II., 2005 dann dessen Nachfolger.
Annäherung an Ultrakonservative
Kritik am deutschen Papst kam ausgerechnet aus der alten Heimat: Erste Kratzer bekam der Benedikt-Hype bereits 2006 während seiner zweiter Deutschland-Reise. In der Universität Regensburg hielt er eine Vorlesung, in der er sich auch eines islamkritischen Zitates eines byzantinischen Kaisers aus dem Mittelalter bediente. Muslime in aller Welt reagierten empört.
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Für Kritik sorgte auch Benedikts Annäherung an die ultrakonservativ-katholische Pius-Bruderschaft, der auch der Holocaust-Leugner Bischof Richard Williamson angehörte. Selbst die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte ihr Unverständnis zu dem Vorgang.
Auf Benedikts Geburtstag liegt ein Schatten: Wie viele klerikale Würdenträger seiner Generation hat auch Benedikt Fehler im Umgang mit der Aufklärung von Missbrauchstaten in der katholischen Kirchen gemacht. Das zeigt ein im Januar veröffentlichtes Gutachten des Erzbistums München und Freising.
Große Verantwortung getragen
Benedikt reagierte jüngst auf die Kritik. Er bat erneut um Entschuldigung, übernahm zugleich aber keine persönliche Verantwortung für Versäumnisse beim Umgang mit Missbrauchstaten im Erzbistum München. „Ich habe in der katholischen Kirche große Verantwortung getragen. Umso größer ist mein Schmerz über die Vergehen und Fehler, die in meinen Amtszeiten und an den betreffenden Orten geschehen sind“, hieß es in einer am 8. Februar in Rom veröffentlichten Stellungnahme.
In Freising, Regensburg und Marktl am Inn, Benedikts Geburtsort, entbrannte wegen der anhaltenden Kritik an Benedikt die Diskussion, ob man ihm die Ehrenbürgerwürde wieder aberkennen sollte. In Marktl am Inn verteidigt man seinen berühmten Sohn: Vielleicht habe Benedikt tatsächlich zu wenig unternommen, sagt Bürgermeister Benedikt Dittmann (CSU) dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er wolle keinesfalls die Fälle sexuellen Missbrauchs bagatellisieren. Aber Benedikt habe auch viel Gutes getan.
In der Tat hat Benedikt den Weg mit bereitet für einen zumindest anderen Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs im Vatikan. 2001 wurde unter seiner Federführung als Präfekt der Glaubenskongregation ein Gesetz verabschiedet, das es Rom erlaubte, den Ortskirchen Missbrauchsverfahren zu entziehen und selbst über die Fälle zu entscheiden. Im schlimmsten Fall konnten Priester nun auch aus dem Priesteramt entlassen werden. Benedikt war außerdem der erste Papst, der sich persönlich mit Missbrauchsopfern traf.
Zurückgezogen ins Kloster
Die Geburtstagsfeierlichkeiten in Marktl am Inn für Joseph Ratzinger fallen diesmal, auch wegen der Corona-Pandemie, kleiner aus als sonst. Am Ostersonntag soll es einen Festgottesdienst mit dem Passauer Bischof Stefan Oster geben. Zu einem Besuch in der bayerischen Heimat wird es wohl nicht mehr kommen. Das letzte Mal kam Benedikt im Sommer 2020, um sich in Regensburg von seinem im Sterben liegenden Bruder Georg zu verabschieden.
Seit seinem Verzicht aufs Papstamt lebt Benedikt zurückgezogen in einem Kloster im Vatikan. Das Alter macht dem mittlerweile gebrechlichen Mann offenbar zu schaffen. In einem Beileidsschreiben zum Tod eines befreundeten Professors schrieb er im vergangenen Jahr: „Nun ist er im Jenseits angelangt, wo sicher schon viele Freunde auf ihn warten. Ich hoffe, daß ich mich bald hinzugesellen kann.“ (epd)