Vor 20 Jahren wurde der charismatische Gründer der Brüdergemeinschaft von Taizé von einer verwirrten Frau getötet. Frère Roger wollte nie ein Star sein, sondern ein Sucher mit anderen.
In Europas dunkelsten Jahren wollte er einen neuen Weg gehen. 1940 wählte er den Hügel von Taizé in Burgund, um auf neue Weise Gemeinschaft zu leben: Brüderlichkeit und Verbundenheit, zwischen den Generationen, Völkern, aber auch zwischen den Konfessionen. Die Communauté von Taizé wurde weltberühmt. Ihr Gründer: der Schweizer Frère Roger Schutz (1915-2005).
Das Phänomen Frère Roger ist oft beschrieben worden. Als Sohn eines calvinistischen Pfarrers im Schweizer Jura geboren, ist er das neunte Kind der Familie. Zunächst drängt ihn wenig zur Religion. Roger ist dankbar, dass andere, etwa seine Großmutter Marie-Louise, so fest glauben können, dass es für ihn auch noch reicht. Und schon von Kindheitstagen ist ihm vom wortkargen Vater wie von der liebevollen Großmutter vertraut, dass Protestanten auch in einer katholischen Kirche beten und Gott erreichen können.
Es ist eine Kindheit voller Musik, Klavier, voller Gespräche, Spaziergänge und großer Gastfreundschaft. Aber auch mit Krankheiten. Roger selbst erkrankt schwer an Tuberkulose und schwebt zeitweise zwischen Leben und Tod. Als Jahre später seine Lieblingsschwester Lily ebenfalls todkrank wird, sucht er intensiv die Nähe zu Gott – und er erkennt erst in dieser tiefen Sehnsucht, dass er den Glauben bereits besitzt. Sein anschließendes Theologiestudium ist für ihn mehr Mittel als Freude. Tätige Nächstenliebe im Vertrauen auf Gott – das wird fortan seine Leidenschaft.
Im Zweiten Weltkrieg (1939-1945) sucht der Schweizer einen Ort, um in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten leben und zugleich Kriegsflüchtlingen helfen zu können. Im Sommer 1940 findet er nahe dem einstigen Reformkloster Cluny das verfallene Weindorf Taizé; einen heruntergekommenen, geistlich verwaisten Flecken. Nur ein paar Kilometer sind es von der Demarkationslinie zwischen der NS-besetzten Zone und dem sogenannten freien Vichy-Frankreich. Hier versteckt Roger jüdische und politische Flüchtlinge. Doch 1942 wird er denunziert und muss in die Schweiz zurückkehren.
Ab 1944 schließlich vollzieht sich, was ein Skandal und ein überraschender Welterfolg wird: Aus der evangelischen Brüdergemeinschaft von Taizé entsteht über ein Vierteljahrhundert die erste ökumenische Ordensgemeinschaft der Kirchengeschichte – und ein Magnet für viele Millionen Jugendliche aus aller Welt. Ein Fest, eine dauernde christliche Suche. Für den Konzilspapst Johannes XXIII. (1958-1963) ist Taizé ein “kleiner Frühling” und Frère Roger ein Motor für die ökumenische Bewegung. Alle Päpste seither schätzen den Protestanten und suchen das Gespräch mit ihm.
Zu den unumstößlichen Überzeugungen des Taizé-Gründers, dem Gastfreundschaft über alles geht und der sich Zeit für jeden Menschen in großen und kleinen Nöten nimmt, gehört die Befreiung von allem Ballast: kein Besitz, keine Rechtstitel und Privilegien, keine Archive und Bilanzen, keine Erstarrung oder Selbstzufriedenheit. Suchen, am besten im Gespräch mit der Jugend – immer neu den guten Weg suchen im Vertrauen auf den, dem diese Suche gilt: Gott.
Frère Roger wirkt auch nach außen; er besucht Asien, Afrika, überwindet heimlich den Eisernen Vorhang. Er schreibt Briefe an die Jugend der Welt, selbst als er auf den Knien jenen Säugling hat, den ihm Mutter Teresa aus den Slums von Kalkutta 1976 als Patenkind anvertraut. Ein Organisations-Chaos beim Jugendtreffen? Der Zwang zu improvisieren, um für Zehntausende Essen zu beschaffen? Sehr gut – so muss es sein!
Frère Roger predigt und lebt lebenslang Freiheit und Gottvertrauen. Vielleicht auch deshalb gelingt die Fortsetzung des Abenteuers Taizé, nachdem sein Gründer am 16. August 2005, vor 20 Jahren, einen so unsinnigen Tod stirbt: Der Friedenssucher und Friedensbringer Roger Schutz wird, 90-jährig, beim Abendgebet in der Kirche von Taizé von einer verwirrten Frau erstochen, inmitten von Brüdern und betenden Jugendlichen. Die Gemeinschaft trägt ihn lautlos aus der Kirche, und die Gemeinde setzt ihr Gebet fort – so wie tatsächlich Frère Roger immer den Weg im Gebet suchte.