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Der Friede kommt mit Maultieren

Mit Kutschen von Berlin nach Jerusalem: klingt verrückt. Das sagen auch die Teilnehmer. Aber nach sechs Monaten sind sie angekommen – der Friedenstreck mit seiner Friedensglocke für Jerusalem.

“Wir fahren – in Israel.” Erstaunen, Euphorie und Erleichterung schwingen mit in dem Satz, den Helmut Kautz wiederholt. Am 8. Mai, dem Datum, das 1945 das Ende des Zweiten Weltkriegs markierte, machte sich der evangelische Pfarrer mit Gleichgesinnten, 20 Pferden und acht Kutschen von Berlin auf den Weg. Im Gepäck: eine Glocke, gegossen aus Kriegsschrott aus dem Zweiten Weltkrieg. An ihrem Bestimmungsort Jerusalem soll sie für den Frieden läuten. Am Donnerstag wurde die Friedensglocke in der Hand-in-Hand-Schule in Jerusalem übergeben. Kautz ist Initiator und Vorsitzender des Vereins “Friedensglocken” aus dem brandenburgischen Bad Belzig.

Mitfahrer Bernd Schulz hält einen gelben Wegweiser in den Himmel. “4800 KM Berlin – Jerusalem 2025”. Das Transparent am Glockenwagen zeichnet die Stationen der Friedensmission nach. “Jagt dem Frieden nach mit Jedermann”, steht auf der unebenen Glocke, darunter das Wort Frieden in mehreren Sprachen. Die Strecke führte sie durch zehn Länder, über ein fast unüberwindbares Hindernis und zu der Erkenntnis: Der Friede mit Jedermann beginnt im Ringen mit dem Nächsten im Treck.

“Sechs Monate zusammen unterwegs haben uns nicht alle zu Freunden gemacht. Aber wir brauchen einander, um das Ziel zu erreichen. Jeder bringt sich ein, wächst mit den Aufgaben und kann seine Stärken herausfiltern”, sagt einer der Mitreisenden. Sechs Wochen lang, von Berlin bis Wien, war er dabei, “für die Logistik, und weil es Leute gibt, die behaupten, dass ich gut kochen kann”. Für das letzte Stück ist er noch einmal eingeflogen.

Aus ganz Deutschland und allen Berufsfeldern sind sie dabei – Krankenschwester und Dachdecker, Zimmermann, Kraftfahrer und Soldaten. Manche von Berlin bis Jerusalem, andere einzelne Etappen oder immer mal wieder. Auf knapp 1,2 Millionen Euro schätzen sie die Kosten für die Reise, getragen durch Unterstützer, vor allem aber durch die Teilnehmer selbst. Bis zu 40 von ihnen zählte die Kutschenkolonne am Anfang. Mit der Länge der Strecke seien es weniger geworden, sagt ein Teilnehmer aus dem Rheinland.

Fünf Jahre hätten sie sich vorbereitet, sagt Gunter Völker. Wenn er nicht gerade Glocken durch die Weltgeschichte kutschiert, betreibt der gelernte Koch ein Restaurant. “Bis zur bulgarisch-türkischen Grenze waren wir in den Wolken.” Dort scheiterte der Treck an “immer neuen Hürden” der türkischen Behörden, wie er sagt.

Das Hindernis spaltete die Gruppe. Ein kleiner Teil zog weiter, kaufte Pferde in der Türkei. Die Mehrheit schwenkte auf Thessaloniki um. “Dort haben wir die Pferde zurückgeschickt, den Glockenwagen nach Haifa verschifft und sind nach Tel Aviv geflogen”, erklärt Völker. Für einige sei mental der Treck “in diesem Moment zu Ende gegangen, weil wir die Pferde nicht mitnehmen durften – keine leichte Entscheidung als Gruppe”, sagt Helga Teichmann. Doch sie zogen weiter.

In Israel begann ein Abenteuer der anderen Art. Kutschpferde haben hier keine Tradition. “Bis am Morgen vor der ersten Fahrt wussten wir nicht, welche Art Zugtiere wir bekommen würden”, sagt Völker. Es sollten Georgette und Aviv werden, zwei Mulis, die noch nie zusammen im Gespann gegangen sind, “in einem Geschirr, in dem sich in Deutschland keiner auf die Straße trauen würde”, sagt Hubert Wolf. Für die Gruppe ist der Kutscher der Held des Tages, weil er es geschafft hat, die beiden Vierbeiner dazu zu bringen, “ohne maulen zu ziehen”. Auch die Planung haben sie in Israel in fremde Hände legen müssen, “erstmals – nicht leicht nach sechs Monaten in kompletter Eigenverantwortung”, so Kautz.

Aus dem Aufstieg durch das Jordantal nach Jerusalem werden kleinere Tagesetappen im Umland Jerusalems und an der Küste. Von Neve Schalom/Wahat al-Salam geht es los durch die Weinberge des Trappistenklosters Latrun. “Stätte des Friedens” heißt die christliche Gründung, eine Dorfkooperative und Vorzeigeprojekt, in dem seit 1972 jüdische und palästinensische Bürger Israels zusammenleben. Eine Friedensmission hätte einen schlechteren Ausgangspunkt finden können.

Die Mulis finden rasch in ihren Tritt, nur bei besonders starken Steigungen müssen die Zweibeiner mit anfassen. Wo immer Menschen am Wegrand zu sehen sind, läutet Kautz die Glocke. Dazwischen wechseln sich “Hevenu Schalom”, Volksmusik und der eigens für den Treck komponierte Song aus den Lautsprechern ab. “Die Glocke läutet weit über das Land / Für die Kinder in Jerusalem – und im ganzen Land / Zusammen stark wie ein aufgehender Stern / Frieden für alle – so nah und doch fern.”

Die Annäherung an Jerusalem auf Mulis sei eigentlich ganz angemessen, sagt Donatha Castell, “nicht mit Stolz, sondern mit Demut”. Georgette und Aviv sind der Gruppe unterdessen schon am Abend der ersten Fahrt ans Herz gewachsen. “Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen, für den wir fünf Jahre gearbeitet haben”, sagt Pfarrer Kautz. Jetzt sei er glücklich, traurig, erleichtert und erschöpft.

Die Freude überwiegt, bei Kautz und seinen Treckgenossen, und bei den Schülerinnen und Schülern der Hand-in-Hand-Schule in Jerusalem, die die Glocke und ihre Crew mit Begeisterung begrüßen. Richtig dran geglaubt habe sie nicht, lacht Johaina Dakwar Salim, als man ihr vor ein paar Jahren gesagt habe, man wolle eine Glocke mit Pferden nach Jerusalem bringen. Doch die Glocke ist da, und die Leiterin des Grundschulzweigs überwältigt. “Der Weg zum Frieden, den wir an der Schule gehen, ist voller Hindernisse – so wie euer Weg nach Jerusalem”.

Seine letzten Worte richtet Helmut Kautz an die Schüler: “Ihr seid die nächste Generation. Hier lernt ihr, zusammenzuleben, und wir haben die Hoffnung, dass euch gelingt, was uns Erwachsenen bis jetzt nicht gelungen ist: dass aus Schwertern Pflugscharen werden!”