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Der blutige Kampf für die Unabhängigkeit

Tagsüber auf Feldern arbeiten, abends in ein Lager kommen, eingesperrt werden. Das war in den 1950er-Jahren der Alltag hunderttausender Kenianerinnen und Kenianer. Die britische Kolonialregierung hatte 1952 den Ausnahmezustand erklärt, um die Widerstandsbewegung der „Kenya Land and Freedom Army“ – im Volksmund „Mau Mau“ – zu bekämpfen. „Die Regierung folterte uns ohne Grund, deswegen haben wir uns den Kämpfern im Wald angeschlossen“, erinnerte sich die im Juli verstorbene Janet Njeru 2021.

Die Kolonialregierung hatte seit den 1880er-Jahren kenianische Familien enteignet, die Menschen wurden zur Zahlung von Steuern gezwungen, Männer kämpften im Ersten und Zweiten Weltkrieg für die Briten, viele kehrten nie zurück. Und die, die zurückkehrten, erhielten keine Anerkennung. Das versprochene Stück Land bekamen sie nie. Auch danach ging die Unterdrückung weiter.

Anführer, Symbol und bekanntester General der „Mau Mau“-Bewegung wurde schnell Dedan Kimathi. Die etwa 20.000 Kämpfer und Kämpferinnen operierten aus den Wäldern am Hang des höchsten Bergs des Landes, dem Mount Kenia. Die Gegend wurde auch White Highlands genannt, britischen Siedlern gab die Regierung dort Land, um Tee anzubauen. Schwarze Kenianer arbeiteten gegen einen Hungerlohn auf ihren Farmen.

Der Bauer Bernard Nyaga unterstütze als Jugendlicher die „Mau Mau“, indem er ihnen Informationen, Nahrung und selbst gebaute Waffen in den Wald lieferte. Er erinnert sich noch gut daran, wie Teile der Stadt Embu nur für Weiße zugänglich waren. Und wie die Regierung versuchte, die „Mau Mau“ mit aller Kraft zu bekämpfen. Sie heuerte Kenianer an, die als sogenannte „Home Guards“ (Bürgerwehr) die Interessen der Regierung zu verteidigen hatten.

Die Konfliktlinien zogen sich Nyaga zufolge durch Dörfer, durch Gemeinschaften, durch Familien. In manchen Familien sei ein Sohn „Home Guard“ geworden, eine Tochter habe den Widerstand unterstützt, schildert der 87-Jährige. Heimliche Schwurzeremonien verpflichteten die Menschen in den Dörfern zu Loyalität gegenüber den „Mau Mau“ und Verschwiegenheit gegenüber der Regierung. Wer den Schwur brach, wurde bestraft.

Damit die Widerstandskämpfer nicht nachts von der Zivilbevölkerung versorgt werden konnten, wurden etwa eine Million Kenianerinnen und Kenianer in umzäunte Dörfer umgesiedelt und zur Zwangsarbeit verpflichtet. Wer im Verdacht stand, mit den „Mau Mau“ gemeinsame Sache zu machen, landete im Gefängnis, Hunderttausende wurden gefoltert, damit sie Informationen über den Widerstand verraten. Familien wurden in Sippenhaft genommen. Schätzungen zufolge wurden Zehntausende Menschen getötet. Die „Mau Mau“ ermordeten 32 britische Siedlerinnen und Siedler und Hunderte Kenianerinnen und Kenianer, die sie für ihre Kollaboration mit den Briten bestraften.

Parallel zum bewaffneten Widerstand verfolgte Jomo Kenyatta mit der „Kenya African Union“ einen moderateren Kurs. Auch er und seine Mitstreiter wurden während des Ausnahmezustands verhaftet. 1959 endete der Notstand, die „Kenya Land and Freedom Army“ war besiegt. Kenyatta kam frei. Er war es, der wenige Jahre später als gewählter Premierminister Kenia am 12. Dezember 1963 in die Unabhängigkeit als eigenständige Republik führte.

Bis 2003 war ein Gesetz aus der Kolonialzeit in Kraft, das die Organisation der „Mau Mau“ untersagte und sie als Terroristen definierte. Heute erinnert zwar eine Statue in der Innenstadt der Hauptstadt Nairobi an General Dedan Kimathi, der von den Briten gefangen genommen und ermordet wurde. Doch Überlebende kämpfen bis heute um Anerkennung und Kompensationen. Eine Gruppe von ihnen hat gegen den britischen Staat geklagt und Recht bekommen. „Hätten wir nicht im Wald gekämpft, dann hätten wir so schnell keine Freiheit erlangt“, sagte Janet Njeru.