Predigttext
15 Als Josefs Brüder begriffen, dass ihr Vater tot war, bekamen sie Angst. Sie dachten: „Hoffentlich ist Josef uns gegenüber nicht nachtragend. Sonst wird er uns all das Böse heimzahlen, das wir ihm angetan haben.“ 16 Darum ließen sie ihm mitteilen: „Dein Vater hat uns vor seinem Tod aufgetragen, 17 dir zu sagen: ,Vergib deinen Brüdern das Unrecht und ihre Schuld! Ja, sie haben dir Böses angetan. Nun vergib ihnen dieses Unrecht. Sie dienen doch dem Gott deines Vaters!‘“ Als Josef das hörte, fing er an zu weinen. 18 Da gingen seine Brüder zu ihm hin, warfen sich vor ihm nieder und sagten: „Wir sind deine Knechte.“ 19 Aber Josef sagte zu ihnen: „Fürchtet euch nicht! Bin ich etwa Gott? 20 Ihr hattet Böses für mich geplant. Aber Gott hat es zum Guten gewendet. Er wollte tun, was heute Wirklichkeit wird: ein großes Volk am Leben erhalten. 21 Deshalb fürchtet euch nicht! Ich werde für euch und für eure Kinder sorgen.“ Er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen. (BasisBibel)
Gott hat es zum Guten gewendet“ – so oder so ähnlich könnte die Überschrift über den 14 Kapiteln der biblischen Josefsgeschichte lauten. Denn Gott lässt die Geschichte um Josef und seine Brüder gut ausgehen. Das glückliche Ende eines langen Familiendramas.
Ich weiß nicht, wo Sie der Josefgeschichte zum ersten Mal begegnet sind. Ich kenne sie aus meiner Kindheit. Ich war da etwa sieben oder acht Jahre alt. Damals habe ich mit Josef gezittert und ich war fassungslos angesichts der Bosheit der Brüder. Aber ich war auch fasziniert über die märchenhaften Szenen in Ägypten und freute mich mit Josef, als sein Leben sich immer mehr verbesserte.
Ein dramatischer Familienkonflikt
Die gesamte Geschichte lebt von ihren vielen Spannungsbögen. Ich sehe bis heute bei den Kindern, wie sehr sie diese Geschichte miterleben, sowie auch ich es damals als kleines Mädchen getan habe. Jedoch begegnete ich dem letzten Kapitel, dem heutigen Predigttext, nicht als Kind. Warum?, frage ich mich, doch ich kann keine konkrete Antwort darauf finden. Ich vermute, weil hier die Themen von Tod und Schuld aufkommen. Zu meiner Zeit noch ziemliche Tabu-Themen.
Wenn ich heute die Geschichte lese, dann ist da immer noch diese Faszination für sie da. Aber der Blick hat sich verändert. Ich sehe in den spannenden Kapiteln nicht nur Josefs Lebens- und Familiengeschichte, sondern auch zum Teil meine eigene. Bevorzugtes Kind und Eifersucht zwischen Geschwistern. Verlassen des Elternhauses – heute meistens freiwillig durch Berufsausbildung und dennoch oft sehr schmerzlich für die Eltern. Und dann ist da noch das Sichtbarwerden vom Leiden ganzer Völkergruppen durch Hungersnöte.
Leid, Schuld und Schmerz ziehen sich hier durch die Kapitel und ich frage mich: Wer ist schuld daran? Ist all das durch die Brüder und ihre Handlungen verursacht? Oder hat nicht auch der Vater – indem er Josef bevorzugte, ihm einen bunten Rock schenkte – ein Stück dazu beigetragen? Und was ist mit der Hungersnot, die übers Land kam? Wer ist dafür verantwortlich?
Wer trägt die Verantwortung?
Und schon steht die Frage nach der Schuld im Raum. Kennen Sie das auch? Da kommt es zu unterschiedlichen Meinungen, doch jeder versucht, seine Meinung dem anderen aufzudrängen. Ein jeder möchte Recht haben. Oder es kommt zu Missverständnissen aufgrund fehlender klarer Kommunikation. Konflikte entstehen und zwei Menschen entfernen sich immer mehr voneinander.
Solche und ähnliche Schuldzuweisungen sind schnell getan und sie können leider tiefe Gräben ziehen. Nicht nur zwischen zwei Menschen; sie können auch ganze Familien und Freundschaften auseinanderreißen. Sie sind gezeichnet von persönlichen Verletzungen durch Worte oder bestimmte Handlungen. Jahrelang gab es keinen Kontakt.
So auch zwischen Josef und seiner Familie. Am Ende der Geschichte denken viele, dass Josef alles Recht dazu gehabt hätte, sich durch seine neue Position an seinen Brüdern zu rächen. Doch Josef sagte zu ihnen: „Fürchtet euch nicht! Bin ich etwa Gott? Ihr hattet Böses für mich geplant. Aber Gott hat es zum Guten gewendet.“
Josef geht auf seine Brüder zu, er tröstet sie sogar. Er sah, dass es ihnen leid tat und sie Angst hatten. Josef nahm ihnen die Angst. Vielleicht erstaunte er sie sogar, weil sie mit dieser Reaktion nicht gerechnet haben. Dadurch konnte letztendlich wieder aufgebaut werden, was zerstört schien.
Gott hat es zum Guten gewendet
Mich berührt diese Stelle sehr. Durch unerwartete Handlungen – vielleicht auch durch ein Umdenken – kann Zerstörtes wieder aufgebaut werden. Ich hoffe, dass auch ich in Zukunft so handle und vertraue, dass Gott mitgeht und „es zum Guten wendet“. Für ein gesegnetes Miteinander.