Krimis haben sie schon immer interessiert. „Als Kind habe ich im Fernsehen ‚Aktenzeichen XY‘ geschaut“, erzählt Vanessa Preuss. „Ich fand es interessant, wie die Kriminalfälle aufgeklärt werden.“ Heute trägt sie selbst dazu bei, nicht als Kommissarin – sondern als Rechtsmedizinerin.
Ihre Aufgabe sei es, im Auftrag der Ermittlungsbehörden zu rekonstruieren, woran ein Mensch gestorben sei und ob sich dahinter strafrechtliches Handeln verberge, erklärt Preuss, die seit zwölf Jahren am Institut für Rechtsmedizin in Oldenburg arbeitet. Doch nicht in jedem der zu untersuchenden Fälle handele es sich um ein Tötungsdelikt, erzählt die 44-jährige promovierte Medizinerin. Auch bei Verkehrsunfällen, Suiziden oder Behandlungsfehlern werde sie herangezogen.
Jede Autopsie folge einer festgelegten Prozedur. Zunächst nehme sie den Leichnam äußerlich in Augenschein, beschreibt Preuss ihre Arbeit. „Wir suchen nach Narben, blauen Flecken und allem, was auffällig ist. Das ist manchmal eine ziemlich geruchsintensive Angelegenheit.“ Denn mitunter habe ein Toter schon länger in seiner Wohnung gelegen, rieche moderig, käsig oder fischig. Selbst eine „frische Leiche“ rieche auffällig süßlich. Salben, die diese intensiven Gerüche unterdrücken, vermeide sie jedoch, erzählt Preuss. „Man kann Alkohol riechen, Diabetes oder Gifte.“ Diese Sinneswahrnehmung helfe bei der Klärung der Todesursache.
Autopsien offenbaren alle menschlichen Abgründe
Als zweiter Schritt vor dem Gutachten folge die innere Leichenbesichtigung. „Dazu müssen wir mit einem länglichen Schnitt vom Kinn bis zum Schambein Kopf, Brust und Bauch des Toten öffnen und sämtliche Organe entnehmen“, erzählt Preuss. Sie könne so die Halsweichteile untersuchen, um herauszufinden, ob der Tote erwürgt worden sei, und fahnde nach Einstichen oder krankhaften Veränderungen. „Meistens finden wir die Todesursache heraus und können auch sagen, ob jemand umgebracht wurde“, betont Preuss. Es gebe allerdings auch Fälle, in denen die Todesursache nicht geklärt werden könne.
Rund 250 Untersuchungen nimmt Preuss jedes Jahr vor. Insgesamt habe sie rund 3000 Leichname auf dem Seziertisch gehabt, schätzt sie. Jede dieser Untersuchungen nehme sie nach dem Vier-Augen-Prinzip zusammen mit einem ihrer ärztlichen Kollegen vor. „Ich habe dabei die ganze Bandbreite menschlicher Abgründe gesehen“, betont Preuss. Sie habe Körper gesehen, die in Verkehrsunfällen deformiert worden seien, genauso wie Opfer von schrecklichen Gewalttaten.
Die kleinen Dinge des Lebens schätzen
Mit dem Tod versuche sie professionell umzugehen. „Man darf nicht darüber nachdenken, wie sehr der Tote gelitten hat oder wie es den Hinterbliebenen geht. Man darf das alles nicht an sich herankommen lassen“, sagt Preuss. Doch mitunter müsse sie ihrem Mann dann doch erzählen, was sie erlebt habe. „Wenn es schlimmer war als sonst. Weil es zum Beispiel einen Notruf gibt, in dem der Tote zu hören ist. Das ist schon schwer.“ Umgekehrt bemühe sie sich, bei der Arbeit nicht abzustumpfen. „Es handelt sich schließlich um Menschen, die einen respektvollen Umgang verdienen.“
Der Umgang mit dem Tod habe sie verändert, erzählt die Rechtsmedizinerin. „Die Arbeit erinnert mich täglich daran, wie schnell das Leben vorbei sein kann.“ Daher versuche sie, die kleinen Dinge des Lebens zu schätzen. „Ich fotografiere gerne. Meine Katze zum Beispiel und Motive aus der Natur. Und ich freue mich auch, wenn ich einen Graureiher sehe oder einen Vogel beobachte, der in einer Pfütze badet.“ Auch Krimis schätzt sie wie gesagt. Zwar lese sie andere Genres häufiger, und auch den „Tatort“ gucke sie nicht jeden Sonntag. Aber „Aktenzeichen XY“ lasse sie sich nach Möglichkeit bis heute nicht entgehen.
