Die Christdemokraten haben bei den Neuwahlen in den Niederlanden ihr Ergebnis mehr als verdreifacht. Im Gegensatz zu Rechtspopulist Geert Wilders gibt sich Henri Bontenbal als Vermittler und Versöhner – mit Erfolg.
Es ist die Geschichte des Phönix aus der Asche. Eigentlich schon totgesagt, haben die Christdemokraten bei den jüngsten Neuwahlen in den Niederlanden ein bemerkenswertes Comeback hingelegt. 18 der 150 Sitze im Parlament haben sie geholt und damit gute Aussichten, Teil der künftigen Regierungskoalition zu werden. Am Montag sollen nun die inhaltlichen Sondierungsgespräche zwischen der CDA, dem christdemokratischen Appell, und den linksliberalen Wahlsiegern der Partei D66 starten.
Doch wie kam es dazu, dass der CDA wieder einen solchen Einfluss hat? Bei den Wahlen vor zwei Jahren errang der CDA gerade einmal fünf Sitze. Damals war die Partei am Boden ihrer Umfragewerte und auf dem Gipfel der Profillosigkeit. Aus der Presse hieß es, er sei nur ein Sammelbecken für Leute, die dort schlichtweg Mitglieder sind, intern tobten Machtkämpfe. Doch nun erleben die Christdemokraten einen Aufstieg, der vor allem mit einer Person verbunden ist: dem Parteivorsitzenden Henri Bontenbal.
Der 43 Jahre alte studierte Naturwissenschaftler aus Rotterdam wurde Ende 2023 CDA-Chef und präsentiert sich seither mit “Schwiegermutters-Liebling”-Charme: ein nettes Lächeln auf den Lippen, Wahlkampf-Bilder beim Einkauf auf dem Wochenmarkt oder beim fleißigen Arbeiten am Schreibtisch. Freundlich, bodenständig, pflichtbewusst – das sind die Tugenden, die man mit Bontenbal in Verbindung bringen soll.
Sein Auftreten korreliert mit seinem zentralen Wahlkampfversprechen, das Land zu versöhnen. Seine Politik sei “fatsoenlijk”, sagt er immerzu, versöhnlich. Er grenzt sich von Rechtsaußen ab, gibt sich betont anti-populistisch und bildet so einen Gegenpol zu Rechtspopulist Geert Wilders. Bontenbals Verkörperung eines Anti-Wilders ist sicher einer der Faktoren für den Erfolg seines CDA – viele konservative Wähler haben offenbar keine Lust mehr auf Streit und Krach.
Denn als nach den Wahlen 2023 Wilders mit seiner PVV, der Partei für die Freiheit, stärkste Kraft wurde und 37 Sitze holte, war der Ärger schon programmiert. Es kam zu einer Viererkoalition, die aber einen Ministerpräsidenten Wilders ablehnte. Also übernahm der parteilose Dick Schoof diese Rolle, doch aus dem Hintergrund zog Wilders weiter die Fäden. Im Juni dieses Jahres schließlich ließ er die Koalition an einem Zehn-Punkte-Plan für ein strengeres Asylrecht scheitern. Bei den Neuwahlen gab es die Quittung: Die PVV fiel von 37 auf 26 Sitze.
Doch der Erfolg der Christdemokraten fußt nicht nur auf dem versöhnlichen Image, das Bontenbal symbolisiert, sondern auch auf Anschlussmöglichkeiten für unentschlossene Wähler abseits der Mitte. So kann die links-liberale Wählerschaft bei Bontenbals Klimapolitik fündig werden. Bontenbal war einst bei einem Netzbetreiber angestellt und spricht sich stark für die Energiewende aus.
Konservative könnte er dagegen mit einer strikten Migrationspolitik abgeworben haben. Einwanderung solle besser kontrolliert werden, die EU-Außengrenze müsse stärker bewacht werden. Zugleich aber solle die Niederlande ein sicherer Hafen für Menschen in Not sein, jeder solle eine faire Chance bekommen – ganz im Sinne christlicher Nächstenliebe.
Diese Besinnung auf christliche Werte, die dem CDA in den vergangenen Jahren etwas abhanden gekommen war, war ein weiterer Teil der Strategie Bontenbals. Er und seine sieben Geschwister wuchsen in einen protestantischen Elternhaus auf. Bontenbal liest nach eigenen Angaben mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen jeden Tag in der Bibel. Er stehe für die Werte der Partei: Solidarität, Gerechtigkeit und Verantwortung für Umwelt und die Mitmenschen.
Nicht ganz in dieses Bild passt jedoch eine Äußerung, die er vor der Wahl in der Nachrichtensendung “Nieuwsuur” machte. Dort sagte er zum Fall eines homosexuellen Jungen, der von einer konfessionellen Schule ausgeschlossen wurde: “Spannungen zwischen Grundrechten dürfen in einer liberalen Gesellschaft bestehen.” Die Freiheit der Bildung sei so wichtig, dass man so etwas akzeptieren müsse. Auf die Frage nach der Lage homosexueller Schüler, die in solchen Schulen unterdrückt würden, fügte er hinzu: “Eine Sichtweise, die ich nicht teile. Aber ein Schüler kann auch auf eine andere Schule gehen.” Dafür erntete er viel Kritik.
Dennoch steht Bontenbal nun vor einer Koalitionsbeteiligung. Mit Wilders will niemand mehr koalieren, so bleiben als Parteien mit vergleichsweise vielen Sitzen noch D66 mit 26, die konservativ-liberale VVD (22) und Grün-Links (20). In fast allen realistischen Regierungsmodellen hat der CDA seinen Platz.
Ob die Kampagne von Bontenbal die Blaupause für die Eindämmung eines erstarkenden Rechtspopulismus ist, ist aber nicht so eindeutig zu beantworten. Denn, so scheint es, der allgemeine Diskurs in den Niederlanden ist ein Stück nach rechts gerückt. Der linksliberale D66-Chef, Rob Jetten, spricht nicht immer zimperlich in der Migrationsdebatte, auch in einigen Talkshows ist dieser Wandel zuweilen erkennbar.
Festzuhalten aber ist: Dass in Europa eine Partei durch Anti-Populismus und friedliche Rhetorik wieder Erfolge erzielt, könnte Hoffnung geben. Und vielleicht den Christdemokraten in Deutschland um Kanzler Friedrich Merz als Orientierung dienen – etwa mit Blick auf die Stadtbild-Debatte.