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Das System Hermosilla: Ein Korruptionsskandal erschüttert Chile

Es ist der größte Korruptionsskandal der jüngsten Geschichte Chiles. Im Zentrum: der Anwalt und Millionär Luis Hermosilla. Der einstige Strippenzieher in Politik und Justiz erscheint nun reumütig und in Handschellen vor Gericht. Seit August läuft ein Prozess gegen ihn, nachdem ein Investigativportal über seine Machenschaften berichtet hatte.

Der Jurist soll die Vergabe von Posten in Gerichten, Staatsanwaltschaften und der Polizei beeinflusst haben. Im Gegenzug sprachen die Richter Urteile mit ihm ab und Polizei und Staatsanwaltschaft versorgten ihn mit Informationen für seine Klienten. Hermosilla stand zudem in engem Kontakt mit rechten Politikern, war unter anderem Berater des konservativen, inzwischen verstorbenen Präsidenten Sebastián Piñera, und fädelte für Unternehmer Baugenehmigungen oder Geschäfte mit der Regierung ein. Das Ausmaß des finanziellen Schadens, den das über Jahrzehnte funktionierende System von Hermosilla allein für den Staat bedeutet, ist bislang nicht kalkulierbar.

„Es ist das erste Mal in der chilenischen Geschichte, dass alle drei Staatsgewalten von einem Korruptionsfall betroffen sind“, erklärt Michel Figueroa von Transparency Chile. Die Staatsanwaltschaft wirft Hermosilla Bestechung, Geldwäsche und Steuerhinterziehung vor – bislang. Denn ständig werden neue Fälle bekannt, die das Spektrum der beteiligten Personen und Vorwürfe erweitern.

Auf dem jährlichen Ranking von Transparency International erschien Chile zuletzt auf Platz 29 von 180, das ist im lateinamerikanischen Vergleich gut. „In Chile kommt Alltagskorruption relativ selten vor“, sagt Figueroa. Man sollte weder die Polizei bei Kontrollen bestechen, noch muss man etwa im Krankenhaus Gelder an die behandelnden Ärzte zahlen. Allerdings seien in den vergangenen Jahren einige Skandale publik geworden.

Der Fall Hermosilla schlug erste Wellen, nachdem das Investigativportal Ciper im November 2023 einen Audiomitschnitt veröffentlicht hatte, in dem der Jurist mit einem Klienten über die Bestechung von Beamten zur Beeinflussung eines Verfahrens wegen Steuerhinterziehung sprach. „Wir begehen hier ein Verbrechen“, sagte Hermosilla im Audiomitschnitt.

Nach ersten Ermittlungen hat die Regierung bereits im März 2024 den Direktor der Kriminalpolizei entlassen, da öffentlich wurde, dass dieser Informationen an Hermosilla weiterreichte. Im September wurde bekannt, dass Hermosilla der inzwischen geschassten Juristin Ángela Vivanco zu einem Richterstuhl beim Obersten Gericht verhalf und sich dann mit ihr zu Prozessen absprach. „Der Fall hat das Potenzial, das Vertrauen in das gesamte Justizsystem zu beschädigen“, kommentiert Figueroa.

Auch für die Beurteilung der staatlichen Reaktion auf die sozialen Proteste im Jahr 2019 ist das Netzwerk um Hermosilla brisant. Damals ging die Polizei mit massiver Gewalt gegen Demonstrantinnen und Demonstranten vor. Mehrere Dutzend Menschen wurden getötet und über 300 weitere verloren durch den Einsatz von Tränengas und Schrot mindestens ein Auge. Der damalige Innenminister, Andrés Chadwick, verteidigte das Vorgehen der Sicherheitskräfte, Gerichte lehnten Anträge zum Verbot von Schrotkugeln und Tränengas ab. Rechtsverfahren gegen die Verantwortlichen ziehen sich seit Jahren hin. Mittlerweile ist ein Teil der Anklagen verjährt. Nun ist bekannt geworden, dass Chadwick ein enger Vertrauter Hermosillas ist.

Mittlerweile hat sich auch die UN-Sonderberichterstatterin für die Unabhängigkeit von Anwälten und Richtern, Margaret Satterthwaite, eingeschaltet. Im August 2024, nach einem Besuch in Chile, forderte sie eine schnelle Reaktion auf die Vorwürfe von Einflussnahme von Privaten auf die Justiz.

Figueroa ist derweil überzeugt, jetzt sei es besonders wichtig, alle Beweise auf den Tisch zu legen und danach die Verantwortlichen zu bestrafen. Dabei dürften keine voreiligen Schlüsse gezogen werden. Der Fall zeigt aber vor allem eins: Chiles Elite hat Reichtum und Macht auf der Basis unlauterer Beziehungen aufgebaut. Damit Chile als demokratischer Rechtsstaat funktioniert, sollten solche Praktiken unterbunden werden.