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Das Judo-Prinzip

Gemeindesekretärinnen befassen sich auf einem Seminar mit ihrer Kommunikation – vor allem damit, was ihre Körperhaltung anderen mitteilt

„Manchmal kommt jemand zu mir rein, begrüßt mich mit sehr festem Händedruck und lässt mich gar nicht mehr los“, sagt Corinna. So eine Sitution macht ihr zu schaffen. „Was kann ich denn da tun?“, will sie wissen. Arvid Nienhaus nickt. Das kann er sich gut vorstellen. Er versteht die Hilflosigkeit.

Arvid Nienhaus ist Coach und Trainer für Körpersprache und Kommunikation. Für zwei Tage ist er nach Bielefeld gekommen, um dort ein Seminar für Gemeindesekretärinnen zu halten. Corinna ist eine von über 20 Gemeindesekretärinnen, die an der Veranstaltung teilnehmen. Das Thema: „Körpersprache – Kommunikation und Wirkung mit Persönlichkeit“. Angeboten wird das Seminar vom Westfälisch-Lippischen Verband der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im evangelisch-kirchlichen Verwaltungsdienst (WLV). Birgit Kenneweg ist als Vertreterin des WLV beim Seminar dabei.

„Immer gleich die Energie des anderen nutzen“

Arvid Nienhaus schlägt vor, die Situation, die Corinna geschildert hat, einmal szenisch nachzustellen. Corinna steht auf, geht auf ihn zu, die beiden geben sich die Hand. Der Coach lässt aber nicht mehr los. Corinna lächelt anfangs freundlich, doch als er nicht loslässt, gefriert ihr Lächeln und schließlich sagt sie: „Was tue ich denn in so einer Situation?“ Nienhaus fragt in die Runde nach Ideen. Doch die Frauen sind ratlos. „Schon mal was von Judo gehört?“, fragt er. Gelächter. „Ihr sollt natürlich niemanden aufs Kreuz legen.“ Aber hier komme das Judo-Prinzip zum Zuge: die Energie nutzen. „Wie kann das aussehen?“

Corinna will es mal probieren. Gleiche Situation. Nur diesmal bleibt sie nicht starr stehen, sondern geht mit dem Schwung ihres Gegenübers mit und schiebt ihn am Ellenbogen – auch Schulter ist möglich – gleich weiter. „Kommen Sie, setzen Sie sich. Was kann ich für Sie tun?“ Ihr Gegenüber lässt ihre Hand los und bringt sein Anliegen vor. „Ja super“, meint Corinna. „Judo-Prinzip. Das merke ich mir.“
„Es gibt unterschiedliche Menschentypen“, erklärt Arvid Nienhaus. Die einen seien visuelle Typen. „Das sind die, die immer in der ersten Reihe sitzen.“ Andere konzentrieren sich auf das Hören und dann gebe es Menschen, die haptisch orientiert seien – die alles anfassen müssen. „Wenn jemand eure Hand nicht loslässt, ist das bestimmt ein haptischer Typ.“ Es hilft, wenn man sich das vor Augen führt und auch überlegt, wozu man selbst zählt, so Nienhaus.

„Was mache ich denn, wenn mir jemand unangenehm nahe kommt?“, fragt Nadine. Der Fachmann für Körpersprache gibt den Tipp, sich selbst mehr Raum zu nehmen. „Zeigen Sie Präsenz“, sagt er.

Eine Gemeindesekretärin will wissen, was sie tun kann, wenn jemand nicht mehr gehen will. „Ich muss ja schließlich auch meine Arbeit machen.“ Grundsätzlich sei es hilfreich, gleich anfangs zu sagen, wieviel Zeit man sich nehmen könne. „Danach könnt ihr darauf aufmerksam machen, dass ihr nun weiterarbeiten müsst.“ Falls alles nicht hilft, müssten sie die Person direkt zum Gehen auffordern. „Nirgends steht geschrieben, dass man als Gemeindesekretärin immer freundlich sein muss. Ihr seid eine Anlaufstelle für die Gemeinde, zu eurem Beruf gehört der Kontakt mit Menschen. Aber es gibt Grenzen“, ermutigt Arvid Nien­haus die Frauen.

Der nächste Punkt des Referenten ist die Übereinstimmung von Körpersprache, Tonlage und Inhalt. Er zitiert eine Studie, nach der die Körpersprache am meisten wahrgenommen wird (55 Prozent), dann die Stimme und Tonlage (38 Prozent) und der Inhalt zuletzt (7 Prozent). „Um bei dem Beispiel von vorhin zu bleiben: Wenn meine Körpersprache signalisiert, dass ich bereit bin zuzuhören, sage aber, ich bin im Stress, wird ein Besucher bleiben und weiterreden.“ Bei dieser Art der Doppelbotschaften „gewinnt die Körpersprache“.

Das Seminar ist in drei große Blöcke aufgeteilt: Was nehme ich bei anderen wahr? Wie nehme ich mich wahr? Welche Strategien kann ich daraus ableiten? „Was mir gut gefällt ist der Gedanke nicht so sehr auf das zu schauen, was nicht gut läuft“, sagt Birgit Kenneweg. „Sondern sich darauf zu konzentrieren, was gut läuft – und davon mehr machen.“

Als nächstes folgen Wahrnehmungsübungen: Arvid Nienhaus fordert die Frauen auf, im Raum umherzugehen und wahrzunehmen, wer an einem vorbeikommt. Immer wieder stoppt er und fragt etwa: „Welche Farbe hatte das Oberteil der Person, die ihr zuletzt gesehen habt?“ Er erklärt: „Es ist wichtig zu wissen, was man selbst wahrnimmt. Das geschieht automatisch. Aber überlegt mal, was euch so durch den Kopf geht, wenn jemand zur Tür hereinkommt.“

Später beim Kaffee sagt Corinna: „Das Thema hat mich sehr interessiert. Man lernt viel und erkennt eigene Schwächen.“ Sie ist bereits zum dritten Mal bei einem Seminar des WLV dabei. Seit 2014 ist sie in der Gemeinde in Herford. Petra ist schon eine „alte Häsin“. Sie ist seit 20 Jahren in ihrem Job und macht ihn gerne. Sie war schon bei vielen Seminaren dabei. „Man lernt immer wieder etwas dazu“, sagt sie. „Ich finde es gut, über meine Außenwirkung nachzudenken und will an mir arbeiten.“ Aber mindestens genauso wichtig ist ihr bei den Seminaren der Kontakt zu anderen Gemeindesekretärinnen. „Manchmal können wir uns herrliche Geschichten erzählen.“

Nach der Kaffeepause geht es um das Thema Körperhaltung. „Es kann gut tun, bestimmte Haltungen bewusst einzunehmen“, so Arvid Nienhaus. Er beschreibt „breite“ Körperhaltungen. Zum Beispiel sich aufrecht breitbeinig hinstellen oder am Schreibtisch sitzen und die Füße auf den Tisch legen. „Zwei Minuten in so einer Haltung steigert den Testosterongehalt um 20 Prozent“, weiß er. „Wer sich dagegen klein fühlt und eine entsprechende Haltung einnimmt, bewirkt eine Steigerung des Stresshormons Cortisol um 20 Prozent.“ Wer in sich zusammengesunken dasitzt, drückt das Zwerchfell ein und das Atmen fällt schwerer.

Körperhaltung und Sprache sollen zusammenpassen

„Stellt euch mal hin und beugt euch nach unten“, fordert er die Frauen aus. Alle folgen den Anweisungen. „Und jetzt ruft: Es geht mir blendend.“ Von Rufen keine Spur, es is eher ein Gemurmel. „Geht kaum, oder?“, meint Nienhaus. „Jetzt stellt euch aufrecht hin, streckt die Arme hoch und ruft das gleiche.“ Das klappt bestens.
„Der Körper zeigt das, was da ist. An der Körperhaltung und -sprache kann man ganze Biographien erkennen“, sagt Arvid Nienhaus. Die Gemeindesekretärinnen nehmen viel mit nach Hause. „Ich will in Zukunft auf jeden Fall mehr darauf achten, ob meine Körpersprache zu dem passt, was ich sage“, meint Petra. Mit dem Vorhaben ist sie nicht allein.