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Das Große ist nicht groß, das Kleine nicht klein

Neun mal 13 oder zehn 10 mal 15: das war jahrzehntelang das Normalmaß für ein privates Foto, im Labor entwickelt und nach einer Woche bangen Wartens im Fotogeschäft abgeholt. Inzwischen ziehen zwei Finger jedes Foto, selbst geknipst oder von Fotografen gestaltet, auf einem Bildschirm in die gewünschte Größe. „Es ist das Wesen von Fotografien, dass sie, anders als Gemälde, nicht auf eine vorher festgelegte Größe reduziert sind“, sagt Linda Conze, Kuratorin der Ausstellung „size matters. Größe in der Fotografie“. Die Schau mit 190 Exponaten ist ab Freitag bis 20. Mai im Düsseldorfer Kunstpalast zu sehen.

Zum ersten Mal beschäftige sich eine Ausstellung mit diesem Phänomen der Fotografie, sagt Conze am Mittwoch bei einer Vorbesichtigung. Ein angebissener Apfel erscheint größer als ein Baumstamm auf dem Ausstellungsplakat von Kathrin Sonntag. Springer-Stiefel so groß wie ein ganzer Museumssaal zeigt Turner-Preisträger Wolfgang Tillmans in dem Bild „Kunstverein“. Da das Foto ein „Medium ohne feste Größe“ sei, fordere es Betrachter immer heraus, eigene Sehgewohnheiten und das Verständnis von der Welt zu verändern, sagt Conze.

„Wie bastelt die Fotografie an der Wahrnehmung der Welt herum?“, diese Frage habe die amerikanische Publizistin Susan Sontag als erste gestellt. Sie habe damit ein relevantes Thema angeschnitten, betont die Kuratorin. Denn die Fotografie gebe immer noch vor, die Wirklichkeit abzubilden. Das Publikum traue den Bildern zu, der Realität zu entsprechen. Dabei schrumpfe und vergrößere die Fotografie Gegenstände.

Die Düsseldorfer Kunstakademie hat seit den 1970er Jahren, als das Fotografenpaar Bernd und Hilla Becher lehrte, viele international renommierte Fotografinnen und Fotografen hervorgebracht. Alle arbeiten mit verschiedenen Stilelementen, die sich auch in der Größe der dargestellten Objekte unterscheiden. Etliche dieser Werke sind in der Ausstellung zu sehen. Bernd und Hilla Becher wurden bekannt für ihre schnörkellosen Bilder von Industriegebäuden, die groß herausbringen, was bis dahin unbeachtet geblieben war, etwa Fördertürme oder Wasserspeicher.

Der Fotokünstler Thomas Ruff macht aus den Gesichtern der Menschen, die er porträtiert, überlebensgroße Bilder, „geradezu Gesichtslandschaften“, sagt Museumsdirektor Felix Krämer. Inzwischen aber sei auch diese Kunst an ihre Grenze gekommen, weil Fotopapier nicht mehr in dem Format 210 mal 165 Zentimeter zur Verfügung stehe. „Die Fotografie ist also auch von technischen Möglichkeiten abhängig“, sagt Krämer. Ein weiterer berühmter Düsseldorfer Fotograf, Andreas Gursky, dagegen bildet den Popstar Madonna winzig klein in der Publikumsmenge eines Konzerts ab.

Eine Besonderheit bietet nach den Worten der Museumsleitung der Katalog zur Ausstellung: während normalerweise Fotos in ihrer Größe dem Format der Seiten angepasst würden, zeige er nun eins zu eins, welcher Teil eines Bildes auf eine Katalogseite passe. Im Fall der Porträts von Thomas Ruff ist es etwa nur ein kleiner Ausschnitt des Kinns der dargestellten Frau „A. Kachold“. Gurskys Aufnahme von Pop-Star Madonna steht im Katalog in fast gewohnter Fotogröße auf einer Seite, während sie auf der Aufnahme in der Ausstellung nahezu verschwindet.

Heute hat es jeder Mensch am Computer mit Tausenden Fotos zu tun. Das zeigt die Ausstellung in einem eigenen Raum. Die hohen Wände sind komplett mit Bildern tapeziert, die sich im Computer des US-amerikanischen Künstlers Evan Roth seit der Geburt seiner Tochter (Titel: Since you were born – Seit Du geboren bist) im Jahr 2019 angesammelt haben – Fotos, die den Fortgang der Zeit messen und darstellen.

Der Kunstpalast fordert Besucherinnen und Besucher der Ausstellung auf, die selbst Fotos von Größenverhältnissen zu machen und einzusenden. Sie können auf die Chance hoffen, vom Ausstellungsteam ausgewählt und im Museum gezeigt zu werden.