Es ist beeindruckend, welche Fülle von Themen derzeit für das Reformationsjubiläum 2017 aufbereitet werden. Ein wichtiges Mosaikstück dazu hat nun Gerhard Rödding geliefert. Sein Buch „Ein neues Lied wir heben an“ beschreibt den folgenreichen Umbruch und Aufbruch, den Martin Luthers Lieder für die evangelischen Gemeinden, aber auch darüber hinaus als Kulturgut im gesamten deutschsprachigen Raum bewirkt haben. Die bedeutendsten dieser (aus einer viel größeren Zahl noch erhaltenen) 37 Lieder stehen in Text oder Melodie oder beidem noch heute im Gesangbuch.
Musikalisch lebte Luther in der Zeit der Renaissance, aber wichtiger war, dass durch die Reformation das Verständnis und die Praxis des Gottesdienstes einen tiefen Wandel vollzogen hat. Man war nicht mehr Zuschauer bei einem „frommen Schauspiel“, das hinter den Schranken des Altarraumes ablief, sondern jeder und jede Einzelne war Teil des gottesdienstlichen Geschehens. Der Chorgesang wurde nicht mehr nur von wenigen ausgebildeten Stimmen gesungen, sondern als Choral von der ganzen Gemeinde einstimmig übernommen. Luthers Lieder wurden als Volkslieder, geradezu als Schlager im Alltag aufgenommen und eroberten nicht nur den Kopf, sondern auch die Herzen der Menschen.
Das Buch widmet sich auch der Rezeption dieser inzwischen 500 Jahre alten Lieder, wie sie etwa in der Aufklärung oder in der Romantik der folgenden Jahrhunderte verstanden und gebraucht wurden, und es untersucht nicht zuletzt, wie sie teilweise auch von den Nazis nationalistisch vereinnahmt worden sind.
Mit großer Sorgfalt und einem immensen Zeitaufwand hat der frühere Landeskirchenrat und Rundfunkdirektor Rödding recherchiert und Quellenstudium betrieben, aber bei aller Ausführlichkeit und Detailfreude ist das Buch auch für den Nichtfachmann lesbar geblieben – ja, sogar richtig ein Genuss!
Eine Kostprobe der Meinung Luthers? Hier ist sie: „Alte Lieder sind alle häßlichen, possenhaften, zuchtlosen und weltlichen Gesänge, auch wenn sie heute zum ersten Mal gesungen und komponiert sind. Neue Lieder aber sind alle Psalmen, alle ehrbaren, heiligen, frommen und geistlichen Gesänge, auch wenn sie aus der Zeit des ersten Menschen herstammten…So sind die Lieder unserer Zeit sicherlich ganz alte Lieder, auch wenn sie der Zeit nach ganz neu sind“ (Luther, Psalmenvorlesung 1513/1515). Neu ist für ein Lied also eine Frage seines Inhalts, nicht des Datums seiner Entstehung. Rödding stellt das vielsagend an den Schluss.
• Gerhard Rödding: Ein neues Lied wir heben an. Martin Luthers Lieder und ihre Bedeutung für die Kirchenmusik. Verlag Neukirchener Theologie, 201 Seiten, 28 Euro.