Klimawandel, Kriege, Katastrophen: Viele Menschen gehen mit Angst und Sorge ins neue Jahr. Kann die Stimme der Vernunft helfen? Ja, sagt der größte deutsche Philosoph, an den 2024 vielerorts erinnert wird.
Wer auf das neue Jahr philosophisch blickt, kommt an Immanuel Kant nicht vorbei: Im April jährt sich sein Geburtstag zum 300. Mal. Zahlreiche Veranstaltungen erinnern in den kommenden Monaten daran. Kein anderer deutscher Philosoph hat die Geschichte des Denkens weltweit so sehr geprägt und verändert. Viele seiner Erkenntnisse sind bis heute gültig. Sie können Orientierung geben in Zeiten von Krisen, Kriegen und Klimawandel.
Wie ist ein dauerhafter Frieden zwischen Staaten möglich? Diese brandaktuelle Frage beantwortet Kant in seiner Schrift “Zum ewigen Frieden”. Darin schlägt er einen “Völkerbund” vor, eine föderale Gemeinschaft freier republikanischer Staaten. Dieser Plan wurde umgesetzt, als nach dem Ersten Weltkrieg der Völkerbund entstand, der Vorläufer der Vereinten Nationen, und nach dem Zweiten Weltkrieg die UN-Charta in Kraft trat.
Wann ist eine humanitäre Intervention gerechtfertigt, also eine militärische Einmischung in die Angelegenheiten eines Staates? Auch damit beschäftigt sich Kant. Er rät zu großer Zurückhaltung, schließt aber Ausnahmefälle – etwa bei einem Völkermord – nicht aus.
Zusätzlich zum Völkerrecht entwickelt Kant auch ein Weltbürgerrecht. Damit weist er jeden Kolonialismus und Imperialismus zurück und formuliert Grundzüge eines menschenwürdigen Umgangs mit Flüchtlingen: Jeder Mensch habe in jedem Land ein Besuchsrecht, aber nicht unbedingt ein Gastrecht.
Menschenwürde und Menschenrechte begründet Kant nicht religiös mit Gott, sondern philosophisch mit der Vernunft. Jeder Mensch hat demnach denselben Maßstab: seine unbedingte Freiheit als Pflicht, auch gegen die eigenen Interessen und Vorlieben moralisch zu handeln. Dieser kategorische Imperativ, jeden Menschen als “Zweck an sich selbst” zu schätzen, verbietet jede Diskriminierung.
“Kant ist einer der wenigen wahrhaft global denkenden Philosophen”, sagt Otfried Höffe, der die Forschungsstelle für politische Philosophie an der Universität Tübingen leitet. In seinem neuen Buch “Der Weltbürger aus Königsberg” nennt er Kant einen “Lehrer der Menschheit”. Der Philosophie-Professor Höffe ist überzeugt: Kant würde sich heute zum Klimawandel gründlich kundig machen, die Verantwortung des Menschen herausarbeiten und Wege zur Lösung des Problems suchen.
Denn Kant setzt auf die Kraft der Vernunft. Seine 1781 erschienene Schrift “Kritik der reinen Vernunft” gilt laut Höffe als “Gründungsschrift der modernen Philosophie”. Kant zeigt darin, dass die Gegenstände unserer Erkenntnis nicht von selbst so erscheinen, sondern erst vom erkennenden Subjekt zur Erscheinung gebracht werden. Es gibt keinen objektiven Standpunkt jenseits unserer Anschauungsformen von Raum und Zeit, die wir bei allem, was wir sinnlich wahrnehmen, immer schon mitbringen. Und es gibt auch kein Bewusstsein von irgendetwas, ohne dass wir uns dabei unserer selbst bewusst sind.