Artikel teilen:

„Dann hau doch ab!“

Die Rolle von Martin Luther wird von einem Fünfjährigen gespielt. Für ein ungewöhnliches Filmprojekt haben Braunschweiger Kita-Kinder die Zeit der Reformation vor 500 Jahren nachempfunden

epd-bild / Peter Sierigk

Der schwere Eisenschlüssel am Gürtel von Fabians Kostüm ist fast halb so groß wie er. „Damit komme ich als Mönch in meine Zelle“, erklärt der Fünfjährige stolz. In der einen Hand hält er eine Bibel. Für ein ungewöhnliches Filmprojekt spielt der Junge die Rolle des Reformators Martin Luther (1483-1546). Insgesamt sechs Kindertagesstätten aus Braunschweig haben sich auf die Spuren des Mittelalters begeben und drehen einen Film über die Zeit der Reformation vor 500 Jahren. Der etwa 25-minütige Streifen ist als DVD zu haben.

Ein Fünfjähriger steht hinter der Kamera

Am Filmset in der Braunschweiger St. Georgskirche wuseln etwa 15 mittelalterlich kostümierte Kinder umher. Der Altarraum ist mit roten Samttüchern abgehängt. Gedreht wird die Szene vom Reichstag zu Worms. Dort hatte sich der Reformator 1521, rund dreieinhalb Jahre nach der Veröffentlichung seiner 95 Thesen, vor Kaiser Karl V. (1500-1558) öffentlich geweigert, seine Glaubenslehren zu widerrufen.
Der fünfjährige Rene ist an diesem Tag Kameramann und hat sich schon hinter das Stativ gestellt. Filmkünstler Rainer Untch zeigt ihm die Einstellungen. Dann drückt Rene auf einen Knopf, eine rote Lampe leuchtet auf. „Kamera läuft“, ruft er. Mit einem Mal sind alle Kinder hoch konzentriert.
Fabian alias Martin Luther marschiert ins Bild und baut sich mit der Bibel in der Hand vor dem Kaiser auf. „Ich finde es unfair, dass der König so viel Geld hat und die anderen nicht“, ruft er seinem Gegenüber zu. Dann wird die Szene von Untch noch einmal gestoppt. „Martin Luther, kannst Du ein bisschen weiter reingehen?“, fragt er. Und zeigt den Kindern einen „alten Filmtrick“: Mit Klebeband markiert er auf dem Boden, wo Luther stehen bleiben soll.
Das Berliner Filmteam, bestehend aus Untch und der Künstlerin Simone Schander, hat schon zahlreiche historische Filmprojekte in Kindergärten und Schulen realisiert. Geschichte sei ein Thema, das Kinder grundsätzlich interessiere, sagt Schander. „Dabei müssen es nicht immer die Dinosaurier sein.“ Der Begriff der Reformation sei zwar für die Kinder weit weg, werde aber verständlich, wenn die damaligen Geschehnisse in verschiedene Themen heruntergebrochen würden.

Kinder müssen keinen Text auswendig lernen

Bei diesem Filmprojekt seien die Kinder in die Gruft des Braunschweiger Doms gegangen oder hätten ausprobiert, wie schwierig es ist, mit einer Feder ein Buch wie die Bibel abzuschreiben, sagt Schander. Absichtlich verzichte das Projekt auf auswendig gelernte Dialoge, um die kleinen Darsteller in ihren Rollen nicht zu hemmen, ergänzt Untch. So endet der Streit in Worms in einem wilden Wortgefecht zwischen Luther und dem Kaiser, der ihn schließlich verbannt: „Dann hau doch ab!“. Grummelnd macht Luther kehrt und läuft zwischen den Kirchenbänken Richtung Ausgang. Nach einer halben Stunde lasse die Konzentration der vier- bis sechsjährigen Darsteller nach. Dann geht es zum Toben vor die Kirchentür.
Die Filmszenen werden von Untch nach jedem Drehtag mit Musik oder anderen Geräuschen unterlegt. So zeigt der Filmbeginn Luthers Vater, wie er ungeduldig vor einer Tür wartet. Schließlich ist von drinnen Babygeschrei zu hören. Musik setzt ein und die Tür öffnet sich. Die Mutter kommt mit einer Puppe auf dem Arm heraus. „Es ist ein Junge“, sagt sie. Und der Vater antwortet bedeutungsvoll: „Er soll Martin heißen.“ Filmemacher Untch erzählt: „Beim Anschauen hatten die Erzieherinnen bereits Tränen in den Augen.“

Eine DVD des Films ist bei der Fachberatung Kindertagesstätten oder der evangelischen Propstei Braunschweig erhältlich. Internet: www.martinskita.tumblr.com oder: www.kinderart.de.