Wie viel Hobby ist zu viel Hobby? Diese Frage stellen sich gerade Eltern schnell, wenn es um den Videospielkonsum ihrer Kinder geht. Ein Suchtexperte und ein Gamer erklären ihre Sicht.
Was war das letzte Videospiel, das Sie gespielt haben? Wissen Sie nicht? Dann gehören Sie zu einer Minderheit. Denn laut dem jüngsten Jahresreport der deutschen Games-Branche spielen 6 von 10 Bundesbürgern regelmäßig. Und mit einem Altersdurchschnitt der Spieler von 38 Jahren ist Gaming längst kein Jugendphänomen mehr. Man könnte sagen, Zocken ist Volkssport. Trotzdem hält sich hartnäckige gesellschaftliche Kritik – besonders in Bezug auf mögliche Sucht. Aber wann spricht man überhaupt von einer Computerspielsucht, und wie geht man mit dem Problem um?
Zunächst einmal ist die Sucht – genau wie das Spielen selbst – keine Randerscheinung mehr, wie Manfred Patzer-Bönig vom Fachverband Medienabhängigkeit erklärt. Laut der Krankenkasse DAK-Gesundheit spielten 2023 rund drei Millionen Jugendliche im Alter zwischen 12 und 17 Jahren regelmäßig – also mehr als 72 Prozent dieser Altersgruppe. Mindestens 15 Prozent oder 465.000 Minderjährige stufte die Studie als “Risikogamer” ein – mehr als 4 Prozent als süchtig.
Laut WHO gebe es für Computerspielsucht und andere Verhaltenssüchte drei Diagnosekriterien, erklärt Patzer-Bönig. “Da ist einmal der Kontrollverlust. Heißt, ich kann weder Anfang oder Dauer des Spiels noch Kontext oder Spielort kontrollieren”, sagt der Experte, der früher selbst in der Suchtberatung tätig war. Weitere Kriterien seien die Priorisierung, wenn Betroffene dem Spiel Vorrang vor anderen Aktivitäten und Verpflichtungen geben, sowie die Fortführung oder Eskalation des Spielverhaltens trotz bereits erkennbarer negativer Konsequenzen.
“In der Suchtberatung wird vor allem das zweite Kriterium beleuchtet, wie die gesellschaftliche Teilhabe des Spielers ist”, sagt Patzer-Bönig. Denn im Gegensatz zu krankhaftem Drogen- oder Alkoholkonsum sei die Computerspielsucht eher versteckt. Sie werde erst offensichtlich, wenn die Betroffenen unzuverlässig würden. Das mache soziale Kontrolle schwierig, aber umso wichtiger: “Erst wenn man jemanden fragt, hey warum warst du drei Mal nicht beim Fußballtraining, kriegt man vielleicht heraus, dass er zu der Zeit lieber gezockt hat.”
Auch der 30-jährige Gaming-Enthusiast Sebi aus Köln sieht ein Suchtpotenzial. Trotzdem glaubt er, eine handfeste Sucht sei eher ein Randphänomen in der Community. “Gaming ist für Außenstehende leicht zu kritisieren. Natürlich wirken Schlagzeilen, wenn jemand nach 24 Stunden Zocken einen Kreislaufzusammenbruch erleidet. Aber das trifft eben nicht die Realität der Spieler.”
Für Sebi ist Gaming ein besonderes Hobby, das ihn in andere Welten entführt. Neben Zeichnen und Nähen zockt er eben auch regelmäßig. “Klar wird es gefährlich, wenn man andere Sachen für das Zocken vernachlässigt. Aber wenn ich mich abends nach der Arbeit zur Entspannung an den PC setze, dann ist das doch in Ordnung”, meint er.
Einig sind sich Gamer und Experte hingegen bei der Gefahr durch sogenannte Mikrotransaktionen. Dabei handelt es sich um Kleinbeträge echten Geldes, die man im Spiel bezahlt, um Sonderleistungen zu erhalten – oft für sogenannte Lootboxen. Zur Erklärung: Lootboxen – von englisch “loot” für Beute – sind Belohnungspakete im Spiel, die man sich erspielt oder kauft. Die Boxen sind oft Überraschungspakete. Wie bei einem Rubbellos weiß der Spieler nicht, wie wertvoll der Inhalt ist. Das regt zum Erwerb von immer mehr Boxen an.
Das sei besonders für jugendliche Spieler gefährlich, so Patzer-Bönig: “Ich finde ganz klar, wenn es Glücksspielelemente in Spielen gibt, müssen die ab 18 sein. Ein großes Problem in diesem Zusammenhang seien zudem Smartphones, die Online-Spiele 24/7 überall verfügbar machten.
Der Suchtexperte fordert, die Bundespolitik müsse Spieleentwickler mehr in die Pflicht nehmen. “Es gibt wenig Verhältnisprävention. Das Problem wird meist beim Menschen gesucht.” Dabei sei es angezeigt, den Zugang zu Glücksspielelementen gerade für Minderjährige einzuschränken. “Das ist ja keine Gängelung, sondern Schutz vulnerabler Gruppen.”
Alles in allem sieht auch der Fachmann im Gaming primär ein beliebtes Hobby wie viele andere, das vom Deutschen Kulturrat sogar als Kulturgut anerkannt worden sei. Nur Maß und Mitte müssten eben stimmen.