Am Jahrestag der NS-Pogromnacht vom 9. November 1938 hat der Vorsitzende der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Jürgen Wilhelm, vor einem wachsenden Antisemitismus gewarnt. Dies sei ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, sagte er am Sonntag in einer Gedenkveranstaltung in der Kölner Synagoge. Wilhelm beklagte neben offenem Judenhass einen „getarnten“ Antisemitismus, der „den Umweg über die sogenannte korrekte Sprache und den passenden moralischen Rahmen“ gehe. Die Universitäten seien „zu antisemitischen Hotspots geworden, an denen der Israelhass mit dem Gestus pseudointellektueller und moralischer Überlegenheit zelebriert wird“, sagte er laut Redetext.
Wilhelm räumte ein, der „entgrenzte Krieg der Israelis“, die Politik der in Teilen rechtsextremen orthodoxen Regierung in Israel und die humanitäre Katastrophe der palästinensischen Bevölkerung böten eine Angriffsfläche für sachliche Kritik. Eine solche Kritik werde jedoch „verdrängt von antisemitischen Verschwörungserzählungen und dem Hass auf die Juden schlechthin“. Dies sei eine vor allem in islamischen Kreisen zunehmend
offen vorgetragene Haltung.
Wilhelm kritisierte auch „den Antisemitismus der AfD, der sich hinter Chiffren wie ‘Globalisten’ oder der irrwitzigen, dümmlichen, aber gefährlichen Verschwörungserzählung des ‘Großen Austauschs’ versteckt“. Es sei nicht zuletzt eine deutsche historische Verpflichtung, die Situation in Israel und in Gaza sorgfältig zu beurteilen und keinen populistischen Parolen nachzulaufen.
Es dürfe nicht unterschlagen werden, dass die islamistische Terrororganisation Hamas mit ihrem Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 den Krieg begonnen habe, betonte Wilhelm. Zugleich gelte es, „diese Tragödie für alle Menschen in Israel, aber eben auch für die Menschen in Gaza, die unter dem Terror und der Willkür der Hamas und durch den gewaltigen Militäreinsatz leiden und sterben, hungern und ihre Wohnungen und Häuser verloren, differenziert zu sehen“.