Der Fotograf Kermit Berg ist überzeugt davon, dass Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes die Basis eines demokratischen Staates ist. Darin heißt es unter anderen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. Im Jahr 2015 hatte der US-Amerikaner mit deutschen Wurzeln das Zentrum der deutschen Demokratie, den Bundestag im ehemaligen Berliner Reichstag, besucht, um sich ihm mit seiner Kunst, der Fotografie, zu nähern.
„Artikel 1“ nennen Kermit Berg und seine Kuratorin Nicole von Vietinghoff-Scheel die Ausstellung mit gut 50 Fotografien aus dem Deutschen Bundestag. Nachdem die Fotografien dort sowie in Chicago präsentiert wurden, sind sie nun für knapp sechs Monate in der Nagelkreuzkapelle im Turm der Garnisonkirche Potsdam zu sehen.
1933: Eröffnung des Reichtstags in Garnisonkirche
Der sakrale Ort in der brandenburgischen Landeshauptstadt, der für die Ausstellung gewählt wurde, stößt auch wegen seines historischen Hintergrundes auf Interesse. Kurz nach dem Reichstagsbrand im Januar 1933 wurde die Garnisonkirche für den Festakt zur Eröffnung des neu gewählten Reichstags mit Hindenburg, Hitler, Goebbels und Co. gewählt.
Von diesem „Tag von Potsdam“ an, dem 21. März, wurde für zwölf Jahre die junge Demokratie zunichtegemacht. Die Garnisonkirche wurde im April 1945 Opfer des britischen Bombenangriffs auf Potsdam, ihre Ruine 1968 auf Geheiß der DDR-Oberen gesprengt. Nach der politischen Wende wurden die Bestrebungen, die Kirche wieder aufzubauen, stark kritisiert. Der Turm entstand, in dem Gottesdienste, Vorträge und Konzerte stattfinden. Ausstellungen sind ein wichtiger Teil des Garnisonkirchen-Angebots.
Sonja Eichwede: Schirmherrin der Ausstellung
Für die aktuelle Ausstellung konnte die Bundestagsabgeordnete Sonja Eichwede (SPD) als Unterstützerin gewonnen werden. Sie verweist auf die historische Verbindung der Garnisonkirche und des Deutschen Bundestags. „Sie ist ein Zeichen dafür, dass wir uns unserer Geschichte stellen und aus ihr lernen müssen.“
Der Titel der aktuellen Ausstellung – „Artikel 1“ – ist die bedeutendste Lehre aus der Vergangenheit und Mahnung an uns alle: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Kermit Berg will mit seinen Fotografien Assoziationen wie Selbstbewusstsein, Transparenz, schützende Strukturen und den Eindruck von Stärke hervorrufen. Auch das Gefühl, dass kein Mensch über der demokratischen Gesellschaft steht, ist eine Botschaft.
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„Meine Fotos sollen nicht nur dokumentieren, sondern auch inspirieren. Sie sollen eine Atmosphäre von Sicherheit und Freiheit spürbar machen.“ Die Veranstalter sind überzeugt, dass durch die künstlerisch-fotografische Perspektive Bergs der Geist des Parlamentarismus auf eindrucksvolle Weise erlebbar gemacht wird.
Es ist erstaunlich, wie facettenreich der Fotograf den Bundestag erlebt hat. Motive entdeckte er im gesamten historisierenden Gebäude. Er wusste, wie er die Seele des Gebäudes fotografisch einfangen konnte. Vom Eingangsbereich bis in den Plenarsaal, von Sitzungsräumen der Fraktionen bis zur sichtbaren Abstimmungshilfe für Abgeordnete, dem „Hammelsprung“, von den transparenten Glasfassaden bis zum Kunstwerk im Hofgarten. Kermit Berg hat ein feines Empfinden für Details, setzte sie wohl mit einer besonderen Freude an fließenden Rhythmen ins Bild. Sein Geschick, alles ins richtige Licht zu setzen, ohne in Effekthascherei zu verfallen, macht seine Fotografien so sehenswert.
Doch hat man beim Betrachten der Bilder den Eindruck, dass das Parlament in Stille verharrt, dass in ihm dramatische Momente ausgegangen sind, keine Auseinandersetzungen zwischen Abgeordneten und Fraktionen stattfinden. Berg will mit seiner Spurensuche einladen, aus der auch Neues für die Demokratie entstehen kann.
Ausstellung im Turm der Garnisonkirche Potsdam, Breite Straße, bis März 2026. Öffnungszeiten: bis Ende Oktober: Di- So, 10–18 Uhr; November bis März: Mi, Fr, So 10–16 Uhr, Do und Sa, So 10–17 Uhr.
