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Bürgergeld: Diakonie befürchtet Rückkehr des “Drehtüreffekts”

Fachkräfte aus der diakonischen Beratung kritisieren die von CDU und SPD geplanten Änderungen beim Bürgergeld. „Wir brauchen langfristige Qualifizierung“, sagte Tanja Herbrik, Geschäftsführerin des Kreisdiakonieverbands im Landkreis Esslingen, am Donnerstag bei einem Pressegespräch in Esslingen am Neckar. Mit der Einführung des Bürgergelds sei dieser Schwerpunkt „Qualifizierung“ geplant gewesen – doch noch vor dessen tatsächlicher Umsetzung in die Praxis solle er wieder obsolet sein. Nötig seien nicht „unsinnige“ Versuche, Bürgergeldbezieher aus der Statistik zu bekommen, „wie etwa der fünfte Bewerbungskurs in Folge“, sondern nachhaltig wirksame Förderung.

Dazu zähle, was eine langfristige und dauerhafte Beschäftigung möglich mache, es könne auch ein Sprachkurs sein. Wenn das Hauptziel nun wieder „so schnell wie möglich in Arbeit bringen“ sein solle, drohe Betroffenen wieder ein laufender Wechsel zwischen einigen Monaten Beschäftigung und erneuter Arbeitslosigkeit. „Wir nennen das den Drehtüreffekt.“

Immer wieder kommen Betroffene entsetzt mit einem Jobangebot zur Beraterin Lisa Pranter. „Manchmal sehe ich sofort, dass diese Person das nicht leisten kann“, sagte die Sprecherin der Unabhängigen Bürgergeldberatung. „Da sollte eine Frau mit Mehlstauballergie beim Bäcker arbeiten.“ Bei einer Zuweisung nach Aktenlage wurde diese Allergie eben nicht berücksichtigt. Verweigerer, die partout nicht arbeiten wollen, seien extrem selten, sagt Pranter. Manche rutschten in die Sanktion, weil sie einen Termin verpasst hätten – teils durch eigene Krankheit oder ein krankes Kind.

Im Landkreis Esslingen seien im November ganze 48 Bürgergeldempfänger sanktioniert worden, bei insgesamt 25.559 Empfängern. Bundesweit waren es im selben Monat 29.612 Fälle mit einer durchschnittlichen Kürzung um 64 Euro. Woher die von manchen Politkern versprochenen hohen Einsparungen durch verschärfte Sanktionen und Kürzungen kommen sollten, sei daher nicht nachzuvollziehen.

Die Empfänger litten unter den gestiegenen Lebenshaltungskosten, sagte Herbrik. „Schwierig ist es vor allem in Familien.“ Eltern müssten ihrem Kind etwa den Schulausflug versagen. Im Regelsatz für einen Erwachsenen von 563 Euro seien 50,50 Euro für Verkehr enthalten. „Das reicht nicht für ein Deutschlandticket oder eine Monatskarte.“ Wessen Miete die zugelassene Mietobergrenze überschreite, der müsse die Mehrkosten von seinem Regelsatz abzweigen.

Die Träger der freien Wohlfahrtspflege hätten errechnet, wie hoch ein armutsfestes Bürgergeld für einen erwachsenen Alleinstehenden sein müsse, sagt Herbrik. Es sei für das Jahr 2024 ein Betrag von 813 Euro gewesen. „Davon lässt sich aktuell politisch nur träumen.“ (0769/03.04.2025)