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Laura Völkel träufelt eine milchige Flüssigkeit in eine Sprühpistole. Dann verteilt die Restauratorin einen hauchfeinen Sprühnebel auf der teilweise verkohlten Notenhandschrift. Nanocellulose heißt das Mittel, das das Papier so weit stabilisieren soll, dass es digitalisiert werden kann. „Die Schicht ist dabei so transparent, dass am Computer die Notenschrift in den verkohlten Bereichen teilweise sichtbar gemacht werden kann“, sagt Völkel.

Arbeit hat die Restaurierungswissenschaftlerin noch für Jahre. In einem Nebenraum im ersten Stock des schmucklosen Industriebaus vor den Toren von Weimar lagern in grauen Kartons Teile der Musiksammlung des Weimarer Klassik-Archivs. Bereits beim Betreten des Raumes sticht das Problem der Sammlung in die Nase. Noch fast 20 Jahre nach dem Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek hängt der Geruch von erloschenem Feuer schwer in der Luft. Insgesamt 60.000 Blätter der Sammlung sind am 2. September 2004 teilweise schwer beschädigt worden.

„Man wird ohne Stabilisierung oder Restaurierung mit diesen Originalen in unserem Lesesaal wohl nicht mehr wissenschaftlich arbeiten können“, sagt der Direktor der Bibliothek, Reinhard Laube. Aber digitalisiert stehen die Blätter der Öffentlichkeit wieder zur Verfügung. Nicht die Sammlung und Erhaltung an sich, sondern den Bestand für die Öffentlichkeit nutzbar zu machen, sei der Zweck von Bibliotheken.

Im Falle des Notenblatts ist dieses gelungen: Nach wenigen Minuten lässt sich das schwer beschädigte Blatt aus dem 18. Jahrhundert in einem Stück anheben. Selbst die Asche in den Randbereichen fällt nicht ab.

Einfacher als die Behandlung der meist einzeln oder in dünnen Mappen gelagerten Notenblätter gestaltet sich dagegen die Restaurierung der sogenannten Aschebücher. „Sie standen 2004 in der Bibliothek so dicht beieinander, dass oft nur die Einbände und Randbereiche der Seiten verbrannten“, sagt Laube. Für weitere Zerstörungen im Innenteil der Bücher habe dem Feuer dann der Sauerstoff gefehlt. Schon vor Jahren habe die Restaurierungswerkstatt ein mehrstufiges Verfahren entwickelt, mit dem die beschädigten Bücher Seite für Seite gesäubert und an den Randbereichen nahtlos mit neuem Papier verbunden werden können.

In Weimarer wurden vor 2004 bekannte Techniken weiter zu einer Methode weiterentwickelt, die als Serienproduktion bezeichnet werden kann. Nach erfolgreicher Behandlung entstehen aus den angekohlten Überresten wieder Bücher in zwar schmucklosen grauen Einbänden, die aber wieder in die Hand genommen und gelesen werden können.

Doch die Aufgabe ist gewaltig und die Zeit drängt. Insgesamt 1,5 Millionen Buchseiten gelten als restaurierungsfähig, mehr als zwei Drittel sind bislang erfolgreich behandelt worden. „Wir haben mit den einfacheren Fällen angefangen“, sagt Völkel. Noch warte ein gutes Stück Arbeit auf das siebenköpfige Restaurierungsteam. Und 2028 läuft die Finanzierung für das Programm erst einmal aus.

Die Klassik-Stiftung überlege bereits jetzt, ob und wie es danach weitergehen soll. „Wir sind seit 2019 Lehrwerkstatt für Papierrestaurierung“, sagt Laube. „Wir werden deutschlandweit immer häufiger von anderen Bibliotheken und Archiven angefragt, die Brand-, Wasser- oder Schimmelprobleme in ihrem Bestand haben.“ In Weimar sei viel Expertise entwickelt worden, die es nach 2028 zu erhalten gelte. Wie, wo und in welcher Form das geschehe, werde noch geprüft.

Parallel wird in Weimar weiter an neuen Methoden geforscht. Es gebe konkrete Vorbereitungen, wie auch die bislang noch mit viel Handarbeit vorgenommene Restaurierung der Notensammlung in Richtung einer Art Serienbehandlung weiterentwickelt werden kann, sagt Laube. Dabei geht es etwa um den Einsatz automatisiert gesteuerter Laufbänder und Sprühpistolen ab Anfang 2024.