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Buchtipp: Innovative Perspektive auf Kirchengeschichte

Der Tübinger Kirchenhistoriker Christian Volkmar Witt veröffentlicht seine Erkenntnisse über den Umgang mit Kirchengeschichte. Dabei bringt er einen besonderen Blickwinkel mit ein.

Die evangelische Stiftskirche in Tübingen ist eng mit der Universität Tübingen verbunden
Die evangelische Stiftskirche in Tübingen ist eng mit der Universität Tübingen verbundenIMAGO / Silas Stein

Antrittsvorlesungen sind – wie Abschiedsvorlesungen – ein uraltes akademisches Ritual. Die, die neu anfangen, stellen sich mit einer programmatischen Rede Institut, Fakultät wie Universität vor, die, die aufhören, verabschieden sich mit einer Bilanz. Nicht allen ist das Talent gegeben, eine wirklich neue Programmatik zu entfalten und sie dann am Ende gar noch kritisch im Rückblick zu evaluieren.

Der Tübinger Kirchenhistoriker Christian Volkmar Witt hat allerdings dieses Talent, und deswegen liest man die etwas ergänzte Tübinger Antrittsvorlesung aus dem Jahre 2024 so gern. Gerade wenn man nämlich in Tübingen eine solche Rede hält, liegt es nahe, auf längst gestorbene Theologen des 19. und 20. Jahrhunderts Bezug zu nehmen – immer wieder Schleiermacher, immer wieder Barth, das zeugt nicht eben gerade von der Lebendigkeit der Evangelischen Theologie, die vielfach in der bloßen Repetition von Klassikern erstarrt ist.

Orientierung an dem Dresdner Soziologen Karl-Siegbert Rehberg

Witt macht das ganz anders: Er verdankt seine zentrale Kategorie der Leitideen und Leitdifferenzen dem Dresdner Soziologen Karl-Siegbert Rehberg, schließt sich an die in einem Sonderforschungs­­bereich vor Ort entwickelte Institutionentheorie an und bestimmt das Theologische der Kirchengeschichte in einem besonderen Umgang mit der Zeit. Und das expliziert er an zwei Werken aus dem Mittel­alter, die bisher noch niemand für diesen Zweck herangezogen hat, geschweige denn in der Evangelischen Theologie. Man liest das Buch dieses klugen Kirchenhistorikers mit Vergnügen: Endlich einmal ein paar neue Ideen zur Theorie des eigenen Faches, die alle lesen sollten, die sich für Theologie interessieren.

Christian Volkmar Witt, Wohin läuft die Kirchengeschichte? Mittelalter­liche Zeittheorien und geschichtstheoretische Überlegungen zum orientierenden Gespräch mit der Vergangenheit über die Zukunft, Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2025, 194 Seiten, 24 Euro.

Professor Christoph Markschies ist Professor für Antikes Christentum an der Humboldt-Universität zu Berlin und Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.