Ein Kapitän auf Heimaturlaub wird an Heiligabend ermordet – waren es Einbrecher oder ein Familienmitglied? Von denen hätten so einige ein Motiv … Die Bremer Kommissarinnen ermitteln in einem düsteren Krimidrama.
Eine “stille Nacht” war Heiligabend bei Familie Wilkens definitiv nicht. Die Karaoke-Maschine spielte (wenig originell) “Last Christmas”, und diverse Familienmitglieder grölten mit – so laut, dass niemand mitbekam, dass Familienoberhaupt Hendrik Wilkens derweil im Keller von Einbrechern erschossen wurde. So zumindest lautet die Story, die der Ehemann des Toten und Hendriks erwachsene Kinder aus erster Ehe am nächsten Morgen den Kommissarinnen Linda Selb und Liv Moormann erzählen. Das Erste strahlt den “Tatort: Stille Nacht” am Sonntag von 20.15 bis 21.45 Uhr aus.
Dass sich über die Uhrzeit, zu der sie ins Bett gingen, alle so auffallend einig sind, macht die Kommissarinnen schon mal stutzig. Und als Selb (Luise Wolfram) dann noch mithilfe einer hochmodernen 360-Grad-Tatort-Kamera herausfindet, dass das Kellerfenster eingeschlagen worden sein muss, als Hendrik bereits tot war, ist klar: Der Täter, die Täterin befindet sich unter den Familienmitgliedern und deren Gästen.
In Frage kommen also der Witwer Bjarne (Rainer Sellien), Hendriks Kinder Fabienne (Pia Barucki) und Marco (Robert Höller), dessen Ehefrau Nahid (Rana Farahani) sowie der Matrose Andy (Jernih Agapito). Der war als Seemann fern seiner philippinischen Heimat zum Fest bei den Wilkens eingeladen – organisiert von der lokalen Seemannsmission, bei der Fabienne tätig ist.
Auch Hendrik arbeitete auf dem Meer, fuhr als Kapitän um die Welt. Bei seinen Mitarbeitern war er äußerst beliebt; und auch seine Kinder scheinen ihn vergöttert zu haben. Doch welche Rolle spielte die zuletzt offensichtlich belastete Beziehung zwischen Fabienne und ihrem leiblichen Vater, dem sie beruflich eigentlich nachfolgen wollte? Oder hatte Bjarne, der stets zu Hause den Laden am Laufen hielt, ein Motiv? War Hendrik untreu?
Die verschiedenen potenziellen Tathergänge, die mit überzeugender, düsterer Kamera ins Bild gesetzt werden, sind eine Stärke dieses Krimidramas. Schließlich rückt Andy in den Fokus: Es scheint, als sei es kein Zufall gewesen, dass der Matrose an Heiligabend an genau diese Familie vermittelt wurde. Verband ihn und Hendrik ein dunkles Geheimnis?
Sonderlich weihnachtlich geht es in diesem “Tatort” also nicht zu – weder bei den Wilkens noch den Polizistinnen, die beide froh sind, arbeiten und das Fest nicht mit der eigenen Familie verbringen zu müssen. Weihnachten, das ist hier vor allem der brüchige Rahmen, der Menschen und familiäre Konstrukte in all ihrer Fehlerhaftigkeit und Zerrissenheit, ihren Enttäuschungen und gegenseitigen Verletzungen mehr schlecht als recht zusammenhält. Dahinter, nur mühsam versteckt: Einsamkeit, Depressionen, Alkoholismus, Zerwürfnisse und zerbrochene Lebensträume. Mit Fortgang des Films geht es dann immer mehr darum, was all dies mit einer ungeklärten Vergangenheit zu tun hat – denn bekanntermaßen ruht eine solche nicht.
Schade, dass der Krimi trotz einiger interessanter Ansätze nicht wirklich in seinen Bann zieht – zu umständlich entwickelt sich die Story, zu unübersichtlich ist manche Figurenkonstellation, zu wenig fiebert man mit den fremd bleibenden Protagonisten mit. Letzteres gilt für die verdächtige Familie wie die Kommissarinnen: Während Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) wiederholt durch grobe Unprofessionalität nervt (sich etwa mehrmals bei wichtigen Telefonaten belauschen lässt), gibt sich Linda Selb arg nerdig.
Gelegentlich blitzt im Miteinander dieser beiden zwar ein schöner, trockener Humor auf, den vor allem Bauer cool rüberzubringen vermag. Hübsch sind auch manche (Regie-)Einfälle, etwa ein (verkleideter) Engel, der bei einer Verfolgungsjagd den richtigen Weg weist. Über 90 Minuten eher zäh entfaltete Story trägt das aber nicht. Ärgerlich, dass der Bremen-“Tatort” nach dem wirren Fall “Angst im Dunkeln” vom April 2024 mit “Stille Nacht” erneut eine eher schwache Episode abliefert.