Der frühere Präsident von Bolivien greift erneut nach der Macht in der Andennation – und gefährdet damit die Einheit der Regierungspartei MAS. Dem linken Lager droht eine Spaltung.
Inzwischen ist der Hass zwischen beiden Lagern offen ausgebrochen: Boliviens amtierender Staatspräsident Luis Arce und sein Vorgänger Evo Morales gehören beide der Regierungspartei “Bewegung für den Sozialismus” (MAS) an. Nun erklärte Morales seine erneute Kandidatur fürs Präsidentenamt und treibt damit einen internen Machtkampf auf die Spitze. Dem linken Lager droht eine Zerreißprobe.
Längst ist die Bewegung in ein Arce- und ein Morales-Lager gespalten, die sich unversöhnlich gegenüberstehen. Die Arce-Leute werfen Morales vor, die Regierung gezielt zu sabotieren. Bei Parteiversammlungen fliegen schon mal die Stühle, es ist von Verrat und Dolchstößen die Rede. Morales wiederum kritisiert Arce seit Monaten öffentlich, wirft ihm vor, Partei und Land “nach rechts” gerückt zu haben. Ein von kubanischen Sozialisten gestarteter Vermittlungsversuch scheiterte.
Jetzt will Morales 2025 wieder Präsident werden – um jeden Preis. “Ich habe beschlossen, die Bitten so vieler Brüder und Schwestern anzunehmen, die an Kundgebungen im ganzen Land teilnehmen”, sagte er vor wenigen Tagen. Arce hat sich zu der Frage noch nicht geäußert. Der Amtsinhaber gilt aber als logischer Kandidat des Regierungslagers.
Schon einmal sorgte der unstillbare Machthunger des ersten demokratisch gewählten indigenen Präsidenten Boliviens für eine tiefe Staatskrise. Die Verfassung verbot nach der Regierungszeit von 2006 bis 2019 eine weitere Kandidatur von Morales. Der fühlte sich jedoch sicher und ließ das Volk befragen. Ein Referendum sollte den Weg für eine Verfassungsänderung frei machen.
Er verlor die Abstimmung und brach sein Versprechen, das Ergebnis zu akzeptieren. Obwohl die Bolivianer seinen Plänen eine Abfuhr erteilten, setzte er seine Kandidatur auf umstrittenem Wege durch. Es folgten die Wahlen von 2019, die dem Politiker das vorläufige Karriere-Ende bescherten. Während er sich zum Sieger erklärte, sahen internationale Beobachter bei der Auszählung Hinweise auf Wahlbetrug. Nicht zuletzt auf Druck aus den eigenen Reihen trat Morales schließlich zurück, nachdem Hunderttausende auf den Straßen protestiert hatten. Tödliche Unruhen mit Opfern auf beiden Seiten begleiteten diese schwierige Phase.
Der Ex-Regierungschef beklagt weiter einen von den USA gesteuerten Putsch gegen sich. Aus dem vorübergehenden Exil ist er längst zurückgekehrt und zieht im Schatten von Noch-Präsident Arce die Fäden. Auf dem Höhepunkt seiner Macht zwischen 2006 und 2012 war Morales einer der populärsten und erfolgreichsten Präsidenten Lateinamerikas. Er modernisierte das Land, wenn auch auf Kosten von massiver Abholzung, und sorgte für einen wirtschaftlichen Aufschwung.
Doch er konnte die Macht nie loslassen, flirtet mit autokratischen Staaten und gilt als einer der wichtigsten Unterstützer der Linksdiktaturen Kuba, Nicaragua und Venezuela. Dass er heute seinen eigenen Parteifreund und Nachfolger im Amt derart offen attackiert, wirft ein neues Schlaglicht auf die Vorkommnisse von 2019 – und macht vielen im eigenen Lager Angst.
Die konservative Interimspräsidentin Jeanine Anez, die damals inmitten von Krise und Corona-Pandemie die Neuwahlen transparent organisierte, sitzt mittlerweile im Gefängnis. Sie wirft der Regierung politische Verfolgung vor. Etliche Beobachter sehen in ihr ein Opfer, das dazu dient, das Narrativ vom Putsch aufrechtzuerhalten.