Die estnische Gesellschaft lebe an der Grenze von Krieg und Frieden, von Unsicherheit und Hoffnung. So schilderte Marko Tiitus, Bischof von Südestland am Donnerstagabend die angespannte Situation in seinem Heimatland am Donnerstagabend im nordhessischen Hofgeismar. Dort sprach Tiitus vor der Landessynode der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW).
Tiitus bezeichnete Estland als Grenzland zwischen NATO, Europäischer Union und Russland, zwischen West und Ost, geprägt vom lutherischen Schweden, katholischen Polen und orthodoxen Russland. „Aber wir sind auch ein Grenzland im Sinne unseres Wertebereichs, weil Estlands fester Kurs in den letzten Jahrzehnten auf westliche europäische Werte ausgerichtet war, während paradoxerweise immer noch Elemente des sowjetischen Erbes erhalten geblieben sind“, sagte der Geistliche.
Seit Beginn des Ukrainekriegs herrsche ein Gefühl der Bedrohung: „Radikalere nationale Verteidigungsexperten in Estland argumentieren, dass die Wahrscheinlichkeit eines bewaffneten Konflikts mit Russland nicht eine Frage des ‚Ob‘, sondern des ‚Wann‘ ist“, führte Tiitus aus.
So berichteten ihm örtliche Geistliche aus der Grenzregion zu Russland von den Sorgen ihrer Gemeindeglieder: „Wir versuchen, diese Ängste zu mindern, indem wir versichern, dass es derzeit keine reale Kriegsgefahr in Estland gibt.“ Und doch habe auch seine Kirche zunehmend das Bedürfnis, sich für Krisen zu wappnen. Gleichwohl wolle er nicht den Eindruck erwecken, dass die Vorbereitung auf einen Krieg derzeit die Hauptbeschäftigung der estnischen Kirche sei, betonte Bischof Tiitus. „Wir bereiten uns auf das Leben, auf den Frieden und auf die Zukunft vor.“
Mehr denn je könne man jetzt verstehen und wertschätzen, dass das Aufwachen in einem freien und unabhängigen Estland ohne fliegende Bomben und Raketen keine Selbstverständlichkeit ist. Nach Ansicht des estnischen Bischofs ist dies das Ergebnis von richtigen Entscheidungen in den vergangenen 30 Jahren und starken Partnern in der Europäischen Union und der NATO, mit denen Estland stark sei. All das sei aber auch „ein Geschenk Gottes“.
Die kurhessische Synode tagt noch bis Samstag, 10. Mai, in der Evangelischen Tagungsstätte in Hofgeismar. Wie die EKKW ankündigte, steht die Frühjahrstagung unter dem zentralen Thema „Anders Kirche werden“. Die Sitzung kann im Livestream unter www.ekkw.de verfolgt werden