Artikel teilen

Bibeln im schwebenden Würfel

Durch eine schwere, moderne Hochsicherheitstür führt der Weg in den einstigen Speisesaal des Mainzer Klarissenklosters. Wo vor Jahrhunderten unter einem kunstvollen Gewölbe die Nonnen ihre Mahlzeiten zu sich nahmen, steht nun ein begehbarer schwarzer Würfel. Er ist so beleuchtet, dass es aussieht, als würde er ein wenig in der Luft schweben. Und er beherbergt ab sofort den kostbarsten Schatz der Stadt Mainz – drei Bände des ältesten mit beweglichen Lettern gedruckten Buches der Welt, der Gutenberg-Bibel. Für die mehrjährige Bauzeit des neuen Gutenberg-Museums hat die Stadt einen spektakulären Übergangsstandort gefunden, an dem das „Weltmuseum der Druckkunst“ nach nur wenigen Wochen umzugsbedingter Schließung ab Samstag wieder Gäste aus aller Welt erwartet.

Wer das alte, zuletzt schon recht angestaubte Mainzer Gutenberg-Museum kennt, wird beim Besuch des neuen Museumsstandorts überrascht sein. Zwar steht in den bislang vom Städtischen Naturhistorischen Museum genutzten Räumlichkeiten nur ein Bruchteil der früheren Ausstellungsfläche zur Verfügung, doch unter dem Titel „Gutenberg Museum Moved“ haben die Museumsmitarbeiter in der Übergangslösung gezeigt, was sie können. „Das ist ein sehr ambitionierter Zwischenschritt“, sagt Museumschef Ulf Sölter. Wo zuvor ausgestopfte Eisbären oder Zebras herumstanden, wird mit modernster Technik und neuer Medien inszeniert, wie Gutenbergs Erfindung Mitte des 15. Jahrhunderts Europa und die Welt veränderte.

Es beginnt schon am Beginn der Ausstellung mit einem mit Multimediatechnik ausgeleuchteten 3D-Modell der Stadt Mainz zu Gutenbergs Lebzeiten. In der Schatzkammer hinter dem Kubus mit den Gutenberg-Bibeln werden die Ansichten der Bibel per Beamer an die Wand geworfen und virtuell umgeblättert. Im Treppenhaus erzählen große comicartige Wandbilder die bewegte Geschichte des wichtigsten Mainzer Museums nach, das auf eine Initiative aus der örtlichen Bürgerschaft rund um Gutenbergs vermuteten 500. Geburtstag im Jahr 1900 entstanden war. Es durfte schon so illustre Gäste wie den früheren sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow und die britische Königin Elisabeth begrüßen.

Besonders wichtig war den Museumsmachern, dass sie Besuchergruppen weiterhin an historischen Maschinen ganz anschaulich demonstrieren können, wie die von Gutenberg erfundene Technik funktioniert. „Das Museum lebt ein Stück weit von den Druckvorführungen“, sagt Direktor Sölter. Mit dem Naturhistorischen Museum, das vorübergehend die Hälfte seiner Ausstellungsfläche einbüßt, wurde eine enge Kooperation vereinbart. Besucher erwerben an der Kasse ein Ticket, das stets für beide Partner der „Museums-WG“ gültig ist. Sogar gemeinsame Sonderausstellungen sind geplant.

Der Weg hin zum neuen Gutenberg-Museum war für die Stadt ein recht steiniger: Etliche Jahre diskutierte die Kommunalpolitik über eine Sanierung des Museumsgebäudes aus den 1960er Jahren oder einen Neubau. Pläne für den Anbau eines sogenannten Bibelturms stießen auf vehementen Widerstand der Mainzer und mussten nach dem ersten erfolgreichen Bürgerbegehren in der Stadtgeschichte begraben werden. Inzwischen sind die einstigen Gräben ein Stück weit zugeschaufelt. Nach einem europaweiten Wettbewerb erhielt das Stuttgarter Architektenbüro „h4a Gessert + Randecker“ den Zuschlag für den Neubau, der über 100 Millionen Euro kosten soll.

Die Investitionen in den Übergangsstandort in Höhe von mehr als 10 Millionen Euro sollen ebenfalls nachhaltig sein, versichert die Mainzer Bau- und Kulturdezernentin Marianne Grosse (SPD). Denn wenn die Buchdruck-Exponate erst wieder ausgezogen sind, kann das Naturhistorische Museum seine Schau deutlich erweitern. In dem bereits im 19. Jahrhundert säkularisierten Klosterbau hatte sich ein riesiger Sanierungsbedarf aufgestaut. Dort soll es künftig einmal Ausstellungen zu wichtigen rheinland-pfälzischen Naturlandschaften wie dem Pfälzerwald geben.

Wann genau das sein wird, steht aber noch nicht fest. Für den Neubau des Gutenberg-Museums werden 36 Monate veranschlagt, alle offiziellen Zeitangaben enthalten aber stets den Zusatz „nach Freigabe der Baugrube durch die Archäologie“. Und die findet im Zentrum der über 2.000 Jahre alten Stadt Mainz, dem ehemals römischen Mogontiacum, eigentlich immer etwas.