Die Stadt Addis Abeba war Treffpunkt der Ratstagung des Lutherischen Weltbundes, doch das Land dahinter blieb gegenwärtig. So beginnt Kristina Kühnbaum-Schmidt über ihr erstes Reiseziel Äthiopien zu erzählen. „Wir waren nur wenige Kilometer entfernt von Regionen, in denen es eine schwierige Bürgerkriegssituation gibt.“ Äthiopien sei eines der ärmsten Länder der Erde und habe eine Vielzahl von Menschen aufgenommen, die aus den Nachbarländern, aus noch größeren Kriegsgebieten geflohen sind. Für sie stellte sich die Frage nach Versöhnung. „Das sind Themen, die muss man erst mal verdauen und bedenken. Und sie liefern natürlich viele Impulse zum Nachdenken für uns.“
Beeindruckt ist die Landesbischöfin der evangelischen Nordkirche und Vorsitzende des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes vom Glauben und sozialdiakonischen Handeln der lutherischen Kirche Äthiopiens – mit über zwölf Millionen Mitgliedern. „Diese Kirche ist ein starker gesellschaftlicher Akteur – mit Kindergärten, Berufsausbildung, sozialdiakonischen Projekten.“ Und das, obwohl die finanziellen Mittel gering sind. Jetzt wird ein neues, dreistöckiges Gemeindehaus gebaut, weil sie den Platz brauchen. „Da ist bisher nur ein Betonboden gegossen. Die Gemeinde sagt: ‘Das konnten wir bisher finanzieren, und jetzt haben wir Geld gesammelt, um das Erdgeschoss zu Ende zu bauen.’ Es wird dann an kleine Geschäfte oder Dienstleister vermietet, und von den Mieteinnahmen bauen sie dann das nächste Geschoss und immer so weiter, bis es drei sind.“
Kristina Kühnbaum-Schmidt sieht darin eine Haltung, die der Nordkirche hier und da guttäte: „Einfach anfangen. Vertrauen. Nicht immer schon zu Beginn wissen, wann alles fertig ist. Sondern losgehen – mit Gottvertrauen. Das hat mich begeistert.“ Wenn etwas nicht passe, könne es auch im Prozess wieder angepasst werden.
Estland: Zwischen Realismus und Hoffnung
In Estland wurden die Landesbischöfin und die Kirchenleitung der Nordkirche mit einer Realität konfrontiert, die in Deutschland oft abstrakt bleibt: der akuten Sorge vor einem Krieg. „Die baltischen Staaten leben mit einer Erfahrung tiefgreifender Diktatur und sowjetischer Okkupation.“ In einer Kirche habe ein Gedenkbuch mit Namen von Müttern, Vätern, Kindern ausgelegen, die nach Sibirien verschleppt und getötet wurden. „Das Buch war sehr dick, und es waren über 30.000 Namen darin“, erzählt Kühnbaum-Schmidt mit leiser Stimme und ergänzt: „Das prägt ein Land. Das prägt die Menschen.“
Jetzt, wo die Sorge vor einem Krieg dort so präsent sei, sei der Wille umso klarer, vorbereitet zu sein, etwa in Narva, einer Grenzstadt zu Russland, nur durch einen Fluss getrennt. „Sie überlegen, wie sie ihre Arbeit weiterführen können, falls es keinen Strom mehr gibt, kein Internet, keine Kommunikation.“ Diese Pläne für den Fall der Fälle zeigen ihr einen nüchternen Realismus, aber immer auch die Hoffnung, „dass das nie passieren möge“.
Der Anfang von Europa
Besonders bewegt habe sie dort die Dankbarkeit für den Besuch. „Schon die Tatsache, dass wir gekommen sind, war für unsere Partnerinnen und Partner ein Zeichen der Solidarität.“ Ihr sei es darum gegangen zu signalisieren: „Wir wollen wissen, wie es euch geht. Und zwar nicht aus der Ferne, aus dem Fernsehen, aus Berichten aus zweiter Hand, sondern in echt.“
Im Gedächtnis werde Kristina Kühnbaum-Schmidt der Satz der Bürgermeisterin von Narva bleiben: „Hier ist nicht das Ende von Europa, hier ist der Anfang von Europa.“ Er verändere den Blick auf das, was in unserem Lebensalltag manchmal selbstverständlich sei.
Tansania: Glaubensfreude und Klimakrise
Über der dritten Reise nach Tansania stehen für die Landesbischöfin die Begriffe Glaubensfreude und Lebendigkeit sowie eine tiefe Verbindung zur Schöpfung. „Ich hatte die große Ehre, im Gottesdienst zur Einweihung einer Kirche predigen zu dürfen.“ Die lutherische Kirche in Tansania ordiniere zwar Frauen, aber es gebe noch keine Bischöfin. „Es war ein großes Fest, mit fünf Stunden Gottesdienst, mit Chören, Prozessionen, Kollekte. Das war ein Erlebnis, von dem ich lange zehren werde.“
Beeindruckend sei eine Versteigerung nach dem Gottesdienst gewesen. „Die, die keine finanziellen Mittel haben, bringen etwas von dem, was sie haben, eine Bananenstaude oder ein Bündel Feuerholz. Jeder, der was auf sich hielt und ein bisschen Geld hatte, steigerte mit.“ So könne jeder in Würde etwas geben, und am Ende essen und feiern alle gemeinsam.

Neben der Fröhlichkeit stehen ernste Fragen. Der Klimawandel ist im Alltag der Menschen in Tansania präsent – ganz anders als in Europa. „Die größte Sorge ist, dass sich die Bedingungen für die Landwirtschaft so verändern, dass das Überleben gefährdet ist“, verdeutlicht die Landesbischöfin. Als sie nach der diesjährigen Ernte fragte, lautete die Antwort: „In diesem Jahr war der Regen gut, es wird wohl niemand hungern müssen.“ Dieser Satz zeige, was auf dem Spiel steht.
Die Kirche in Tansania reagiert mit konkreten Projekten, so hat Kristina Kühnbaum-Schmidt am Fuße des Kilimandscharo einen Baum gepflanzt. „Das rettet nicht die Welt, aber den Baum zusammen mit den Menschen dort zu pflanzen, schafft eine Verbindung und damit auch eine Verantwortung.“
Die Frage nach der Verantwortung verbinde für sie die drei Reisen: „Was sind wir bereit zu geben, damit alle Menschen auf der Welt in Frieden und in einer Umwelt leben können, die auch für die nächsten Generationen Lebensmöglichkeiten bietet?“
