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Bespitzelungs-Vorwürfe gegen Serbiens Staatsspitze

Laut Vorwürfen von Amnesty International und mehreren Betroffenen lässt Serbiens Regierung die Zivilgesellschaft bespitzeln. Die Innenministerin versucht, die Wogen zu glätten.

Die beängstigende Botschaft kam zu Halloween: Am 31. Oktober blinkte eine Mitteilung auf dem Mobiltelefon eines serbischen Aktivisten auf. “Staatlich geförderte Angreifer” hätten es auf seine Daten abgesehen, so die Warnung des Herstellers. “Ich dachte erst an Spam. Aber dann zeigte ich es einem befreundeten IT-Fachmann. Er sagte mir, das sei etwas Ernstes”, berichtet der Mitarbeiter des Belgrade Centre for Security Policy (BCSP). Er will anonym bleiben, um seine Familie zu schützen. Nach Angaben der Organisation Amnesty International ist er nicht das einzige Opfer eines gezielten Bespitzelungs-Angriffs.

In der aktuellen Auswertung “Ein digitales Gefängnis: Überwachung und Unterdrückung der Zivilgesellschaft in Serbien” legt Amnesty dar, wie Umweltschützer, Journalisten, Kulturaktivisten und Politologen bespitzelt wurden. Zum Einsatz kam demnach auch eine in Serbien hergestellte Spionagesoftware, genannt “NoviSpy”. Diese könne neben Daten auch auf Kamera und Mikrofon der Mobiltelefone zugreifen.

“Weder ich noch meine Kollegen wollten wahrhaben, was hier passierte”, so das mutmaßliche Opfer des BCSP. Über das wahre Ausmaß der Überwachung könne man nur Vermutungen anstellen. Als Indiz führt der Betroffene in seinem Fall einen reißerischen Zeitungsartikel über ein Streitgespräch zwischen ihm und einem Kollegen an: “Es wurde so lebhaft und in Einzelheiten geschildert – das wäre nur möglich gewesen, wenn sich der Reporter im selben Raum befunden hätte.” Dass die Erkenntnisse tatsächlich dem Einsatz der Spionagesoftware zu verdanken seien, könne er allerdings nicht beweisen.

Fest steht jedoch: Präsident Aleksandar Vucic und die Regierung üben eine weitreichende Kontrolle über eine ganze Reihe regierungstreuer Boulevardzeitungen und -sender aus.

Zugleich ist Serbien ein EU-Beitrittskandidat. Doch nicht nur Vorwürfe von Wahlmanipulation ließen den Beitritt zuletzt in weite Ferne rücken. Auch die enge Beziehung zwischen Belgrad und Moskau stößt EU-Diplomaten auf. Die Denkfabrik BCSP geht davon aus, dass die staatliche Nähe zu Russland zum Problem für die eigene Arbeit wurde. Denn die Organisation hatte für die jährliche Belgrader Sicherheitskonferenz die Friedensnobelpreisträger von 2022 als Redner geladen: Dissidenten und Menschenrechtler aus Russland, Belarus und der Ukraine.

In den Fokus der Politik geriet auch die Belgrader Organisation “Krokodil”, Veranstalter des größten Literaturfestivals in der Balkanregion. Im September drang eine Gruppe russischsprachiger Hooligans in ihre Büros ein. Dabei rissen sie eine Ukraineflagge herunter und schüchterten die Angestellten ein. Eine Mitarbeiterin von “Krokodil” – auch sie will aus Angst vor Verfolgung nicht namentlich genannt werden – brachte den Vorfall zur Anzeige. Als sie die Polizeistation verließ, zeigte ihr Mobiltelefon eigenen Angaben zufolge an: “1.600 Kontakte exportiert”.

Sie schickte die Logdateien ihres Handys ebenfalls an Amnesty Tech, den Amnesty-Ableger für digitale Rechte und Freiheit. “Die Experten fanden heraus, dass die Spionagesoftware mit einer IP-Adresse von BIA verbunden war.” BIA ist der serbische Geheimdienst. Die Betroffene erinnert sich: “Sie zeigten mir Fotos, auf denen zu sehen war, wie die Software Screenshots von meinem Display gemacht hatte. Der Geheimdienst wusste also alles.”

Andere Aktivisten und Journalisten berichten von ähnlichen Vorfällen bei Begegnungen mit der Polizei. Oft sei es unter einem fadenscheinigen Vorwand geschehen, etwa einem Drogentest. Ihre Handys hätten die Regierungskritiker bei der Prozedur stets abgeben müssen.

Serbiens Innenminister Ivica Dacic bezeichnete die Vorwürfe der Menschenrechtler dagegen als “haltlos”. Sie seien ein Angriff auf Serbiens Sicherheit. Mit Blick auf die Entschlüsselungssoftware Cellebrite, die Serbien im Kampf gegen organisierte Kriminalität von Norwegen erhielt, versichert Dacic: Diese werde nur im erlaubten Rahmen eingesetzt.

Die Zivilgesellschaft greift angesichts der mutmaßlichen Bespitzelung auf Sicherheitsapps zurück. Aber ein beklemmendes Gefühl bleibt. Mehrere Betroffene leiden seit den Vorfällen unter anhaltenden Depressionen und unterziehen sich einer Psychotherapie. Ein verängstigter Mann sagt: “Man überlegt ständig, ob noch jemand mitliest oder zuhört.”