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Begegnungen mit Sterbenskranken: “Unglaublich beglückend”

Wenn man Sterben üben könnte, dann wäre Corinna Kohröde-Warnken schon eingeübt. Fast wäre sie an Krebs gestorben. Jetzt hilft sie Sterbenden.

Corinna Kohröde-Warnken engagiert sich in einem Hospiz. Auf Wunsch schreibt sie Gedanken der Sterbenden auf
Corinna Kohröde-Warnken engagiert sich in einem Hospiz. Auf Wunsch schreibt sie Gedanken der Sterbenden aufPrivat

Um Corinna Kohröde-Warnken stand es ziemlich schlecht. Sie hatte zum dritten Mal Krebs, und in ihrem Körper begannen Metastasen zu wuchern. „Die Ärzte gaben mir nur noch ein halbes Jahr“, sagt die ehemalige Krankenschwester und Pflegefachkraft. „Ich war wie in einer Blase. Alles erschien unwirklich.“ Zwölf Jahre ist das her, da war sie 46.

Eigentlich hatte Kohröde-Warnken mit ihrem Leben noch etwas vor. Sie hatte berufsbegleitend Pflegemanagement studiert, war Prokuristin und im Management eines Krankenhauses in Rotenburg (Wümme) tätig und drauf und dran, ihre Doktorarbeit fertigzustellen. Am liebsten wäre sie in die Politik gegangen, hätte Karriere gemacht, sagt sie, vielleicht als Gesundheitsministerin. Doch stattdessen ging die verheiratete Frau in Frührente und schrieb ihr Testament.

“Was will ich mit meinem Leben noch anfangen?”

„Ich habe mich gefragt, was ich mit meiner verbleibenden Lebenszeit anfangen will“, so die Mutter eines damals 14-jährigen Sohnes. Und so habe sie ihre Kleidung aussortiert, sich von Ballast getrennt und sogar ihre Doktorarbeit zerrissen.

Aber sie überlebte. Und mehr noch: An der Schwelle des eigenen Todes habe sie etwas Wertvolles über das Leben gelernt, betont sie. „Man wird bewusster, nimmt Kleinigkeiten wahr“, erzählt die 58-jährige Frau und Christin. Als einmal ein Blatt von Himmel fiel und wie zufällig ihre Wange berührte, habe sie sich plötzlich getröstet gefühlt. Natürlich wäre sie nicht böse gewesen, nicht erkrankt zu sein. Aber sie fühle sich doch ganz tief beschenkt. „Mein Glas ist immer halbvoll.“

“Ich wusste, im Hospiz wartet eine Aufgabe für mich”

Dem Tod entronnen, ließ sie sich zur Notfallseelsorgerin ausbilden. „Da schließt sich ein Kreis für mich“, sagt sie. Heute überbringe sie Todesnachrichten, früher habe sie mit Intensiv-Patienten gearbeitet. „Ich habe so viele Menschen sterben sehen, einige lächelten, andere hatten Angst“, sagt Kohröde-Warnken. Aber auch das: Manche hätten nach geglückter Herz-Operation noch Räder geschlagen. Der Tod begleite sie, wecke ihre Neugierde.

Als vor drei Jahren das Hospiz „Zum Guten Hirten“ in Rotenburg gebaut war und die ersten Patienten einzogen, habe sie schnell Kontakt aufgenommen. „Ich wusste, da wartet eine Aufgabe auf mich.“ So sei das Projekt „Schreib(t)räume“ entstanden. „Seit ich denken kann, schreibe ich Tagebuch“, erzählt sie. Sie habe mehrere Bücher veröffentlicht und Geschichten geschrieben. Auch Briefe an sich selbst verfasse sie. Was lag näher, als Sterbenskranken ebenfalls eine Möglichkeit zu geben, Gedanken zu hinterlassen. „Ich besuche die Gäste des Hopizes, spreche mit ihnen, und wenn sie wollen, schreibe ich für sie auf, was sie wichtig finden.“ Das können Vermächtnisse im weitesten Sinne sein, Erinnerungen oder Wünsche, die sie an die Enkel weitergeben wollen. „Ich schreibe immer auf schönem Papier. Es sind schließlich wertvolle Gedanken.“

“Die Sterbenskranken nehmen mich ein Stück des Lebens mit”

Dieses Engagement erlebt Corinna Kohröde-Warnken als „unglaublich beglückend“. Denn eigentlich sei sie die Beschenkte, betont sie. Jetzt hat sie ein Buch über ihre eindrücklichsten Begegnungen geschrieben. „Die Gäste schenken mir ihre Zeit und nehmen mich ein Stück in ihr Leben mit. Was könnte es Kostbareres geben?“

Lesetipp: „Sterben kann man nicht üben. Geschichten am Ende des Lebens“ von Corinna Kohröde-Warnken ist im Neukirchener Verlag erschienen und kostet 16 Euro.