Niedrigschwellig wieder Kontakt zu anderen Menschen und zu sich selbst finden – das können die Besucher und Besucherinnen von Tagesstätten für psychische Gesundheit. Vier von ihnen betreibt die Diakonie Augsburg in der Region Schwaben. Für viele sind die Einrichtungen in Kaufbeuren, Augsburg, Mering und Meitingen mittlerweile zur zweiten Heimat geworden, in der ganze Communitys entstanden sind.
Die Tür des modernen Flachbaus in Meitingen steht immer offen. Zumindest unter der Woche ab 9 Uhr, wenn Tagesstättenleiter Wolfgang Klaiber-Mehling sie aufschließt und darauf wartet, wer heute kommt. „Meistens sind es Leute, die wir schon länger kennen. Es kann aber auch sein, dass auf einmal ein Fremder in der Tür steht, der sich ein Herz gefasst hat und mal vorbeischauen will“, sagt er. In die Tagesstätte schickt einen kein Arzt, man braucht auch kein Versichertenkärtchen, um hier aufgenommen zu werden. „Hier kann man ungezwungen mal den Blick von allem abwenden, was ansonsten im Leben schlecht läuft“, sagt der Pädagoge.
Dazu gibt es einen festen Wochenplan mit Tagesstruktur. Die Menschen können kreativ gestalten, für externe Auftraggeber Werkstücke montieren oder auch einfach in der Küche mithelfen, wenn gemeinsam gekocht wird – von Montag bis Freitag sind die Tage durchgetaktet. „Viele brauchen wieder einen Lebensrhythmus oder müssen erst einen für sich finden“, sagt Ergotherapeutin Silvia Lederer.
Dazu gehört es auch, rauszugehen. Zum Beispiel jeden ersten Freitag im Monat an den Marktstand der Meitinger Gemeinde, wo Selbstgebasteltes und -erzeugtes verkauft wird. Öffentlich sichtbar sein, sich nicht verkriechen, ist wichtig: In der Meringer Tagesstätte betreiben die Menschen beispielsweise eine Cafeteria, die für alle Bürgerinnen und Bürger geöffnet ist.
Alle Tagesstätten im Augsburger Raum seien zu 100 Prozent vom Bezirk Schwaben finanziert, sagt der kaufmännische Vorstand der Diakonie Augsburg, Markus Bottlang. Damit ein Platz abgerechnet werden kann, muss ein Besucher an einer festgelegten Anzahl an Tagen die Einrichtung besuchen. Bleibt die Person unter diesem Wert, entstehen der Tagesstätte Kosten, die dann nicht geltend gemacht werden können. Umgekehrt: Klopfen mehr Menschen an die Tür und besuchen die Einrichtung, gibt es auch nicht mehr Geld. Ein Zwiespalt, mit dem die Leitung jeweils leben muss – und sich meist für den Menschen entscheidet, der nach Hilfe verlangt.
Eine Regel gilt für alle: kein Alkohol. Oftmals ist dieser auch mit ein Grund, weshalb Menschen überhaupt in psychische Ausnahmesituationen kommen. „Die Menschen bringen aber ganz unterschiedliche Päckchen mit. Und werden auch immer älter“, berichtet Carina Gebele, die für Augsburg und Mering verantwortlich ist.
So berichtet die 1942 geborene Meringer Besucherin Susanne Bensinger in ihrer eigenen Zeitschrift „Psyche im Visier“ von ihren jungen Jahren „unter dem Bombenhagel“ des Zweiten Weltkrieges und dem „bitterarmen Leben danach“, das sie ebenso geprägt habe wie der Leistungsdruck durch die Eltern. Schon als junge Frau habe sie mit Depressionen gekämpft, aber durch ihren Beruf als Sprachtherapeutin für geistig behinderte Kinder auch viel Kreativität ausgelebt und Glück erfahren.
Immer wieder hört man in den Tagesstätten Geschichten von Männern, die nach ihrem Job auch noch die Frau verloren haben und irgendwann in ein tiefes Loch gefallen sind. Dietmar Bauer aus Mering berichtet von seiner tiefen Krise vor 20 Jahren, als er „vom Leben ausgespuckt“ irgendwann in der Einrichtung landete und seither den „Luxus des Wahrgenommenwerdens“ genießt und sich einbringt.
Derzeit besuchen die Tagesstätten aber auch viele junge Erwachsene, die es schon in der Kindheit mit ewig streitenden Eltern nicht leicht hatten und nach den Corona-Jahren Probleme haben, in der Arbeitswelt und Gesellschaft anzukommen. „Hier sind wir Anlaufpunkt und Auffangstation, oft auch Vermittler. Den selbstständigen Schritt ins Leben müssen die Jüngeren aber dann selbst tun“, sagt Gebele. (00/3430/21.10.2023)