Konstanzer Theaterpädagoginnen gehen ins Gefängnis und erarbeiten mit jungen Straftätern ein Stück. Jetzt hat ein junger Inhaftierter das besondere Projekt vorgestellt.
Auf dem Podium steht ein junger Mann, blaue Jeans mit einem Loch am Knie, grüner Pullover. Seinen vollständigen Namen will er nicht veröffentlichen. T. stammt aus Syrien. Wegen einer schweren Straftat muss er eine Haftstrafe abbüßen. Dennoch kann er an diesem Abend bei einer Veranstaltung des Stadttheaters Konstanz auftreten und von seinem Werdegang erzählen – ohne Handschellen, ohne polizeilichen Geleitschutz. T. nimmt am Programm “Theater hinter Gittern” teil, das die Konstanzer Theaterpädagoginnen in den vergangenen Jahren mit vielen Mühen und Hürden auf die Beine gestellt haben.
T. erzählt in einfachen und korrekten Sätzen. “Wir hatten kein schönes Familienleben”, sagt der junge Mann. Seine Straftat bereut er längst, er weiß: “Ich habe meiner Familie geschadet.” Nach seiner Verurteilung hatte er Glück im Unglück. Seine Haftzeit sollte er im Jugendgefängnis Adelsheim (Kreis Neckar-Odenwald) verbringen. Dort hörte er von einer neuen Form des Strafvollzugs für Jugendliche: Im Seehaus – einem ehemaligen Bauernhof bei Leonberg – wohnen straffällige junge Männer in einer großen Wohngemeinschaft zusammen. Sie werden von Hauseltern betreut und angeleitet.
Das Seehaus erinnert weniger an eine klassische Haftanstalt mit Zellen und Stacheldrahtzäunen als an das Haus einer großen Familie mit einem Dutzend verschiedener Adoptivsöhne. Ein “Hausvater” überwacht auch das Einhalten der Regeln. Dazu gehört zeitiges Aufstehen um sechs Uhr, das gemeinsame Frühstück, das Einüben von Rücksicht, der tägliche Sport. Und: “Im Seehaus wird jeden Tag gebetet”, berichtet T. Er fand das gut, er beteiligt sich, hat bereits ein Stück zurückgefunden.
Doch den Aufenthalt in der besonderen Wohngemeinschaft muss man sich erst verdienen, erzählt er. Nur wer im regulären Gefängnis positiv auffällt und empfohlen wird, erhält einen der begehrten Plätze im Seehaus. Auch dort ist der Radius begrenzt. Wer die Grenze überschreitet, wird zurückgeschickt nach Adelsheim.
“Nur wer die Regeln befolgt, darf bleiben.” Das sagt Irmela Abrell, die maßgeblich am Konzept des alternativen Strafvollzugs gefeilt hat. Die Sozialpädagogin arbeitete selbst als Hausmutter am Seehaus. Hinter dem aufwendigen Konzept der Einrichtung steht die Idee, dass Gerechtigkeit wiederhergestellt wird. Dem Konzept zufolge geschieht das nicht durch das jahrelange Wegsperren von Tätern, sondern durch eine Konfrontation: Täter und Opfer werden in ein gemeinsames Gespräch gebracht – oder auch in diese Situation hineinbewegt. Beiden Seiten ist die Begegnung unangenehm, Tränen fließen. Für die Sozialpädagogin Abrell ist dieses Gespräch freilich der Schlüssel zum Ausgleich beider Seiten.
Im Seehaus kommt auch das Theater ins Spiel. Die Theaterpädagoginnen vom Bodensee reisen immer wieder nach Leonberg, um mit den jungen Bewohnern kurze Szenen einzuüben. Für eine intensive Probenarbeit von ein bis zwei Wochen studieren sie mit den Jugendlichen ein Stück ein.
“Die Teilnehmer sind erst einmal skeptisch”, berichtet Theaterpädagogin Amelie Wördehoff. Die meisten hatten vorher keinen Kontakt zur Theaterwelt. Doch mit jeder Stunde im Workshop wachse die Sympathie. Das Spielen stärke das Selbstvertrauen, darin sind sich die Pädagoginnen einig.
Seit sieben Jahren existiert am Stadttheater Konstanz die Sparte “Theater hinter Gittern”. Um diese Form der kulturellen Sozialarbeit zu ermöglichen, ist das Theater auf öffentliche Zuschüsse angewiesen. Die Landesstiftung Baden-Württemberg stellt dafür namhafte Beträge zur Verfügung. Vier Mitarbeiterinnen teilen sich vier Stellen. Die Initiative für das Theater hinter Gittern ging vom damaligen Intendanten Christoph Nix aus.