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Arte-Doku über Seuchen im Tierreich

Epidemien verlaufen oft schrecklich – und sind zugleich Teil des natürlichen Gleichgewichts. Eine Doku berichtet über Massenerkrankungen unter Antilopen, Krähen und Seehunden – und fragt nach Lehren für die Menschheit.

“Social Distancing”, das haben nicht wir Menschen erfunden. Ameisen nutzen diese Form der Seuchen-Prävention bereits seit 80 Millionen Jahren. Das berichtet der Ameisenforscher Laurent Keller in der Doku “Epidemien in freier Wildbahn – Wie Tiere mit Seuchen umgehen”, die Arte am 20. Juli von 21.45 bis 22.40 Uhr ausstrahlt. Wenn in ihrem Bau gefährliche Bakterien oder Viren zirkulieren, achten die Insekten mit dem faszinierenden Sozialverhalten auf Abstand zwischen den verschiedenen Gruppen, schotten Königin und Larven ab – und kranke Tiere isolieren sich selbst.

Um Massenerkrankungen in der Wildnis geht es in dem Film von Jacques Mitsch, sowie um tierische Strategien dagegen. Aber auch darum, dass es ein Wechselspiel zwischen Wirten und Pathogenen gibt: Man passt sich einander an. So hat sich das Immunsystem der Tierwelt in den afrikanischen Gebieten, wo das West-Nil-Virus entdeckt wurde, mittlerweile an den Erreger gewöhnt. In den USA jedoch, wo man das West-Nil-Virus bis dato nicht kannte, gab es 1999 einen heftigen Ausbruch: verursacht womöglich durch eine mit einem Flugzeug ins Land gekommene infizierte Mücke. Hunderttausende Vögel starben, Tausende Pferde, schließlich auch Menschen.

Das mit der lernfähigen Immunabwehr funktioniert allerdings nicht immer: So habe die neue Generation von Sattelrobben im dänischen Kattegat kaum noch Antikörper gegen das für sie hochgefährliche Staupe-Virus, berichtet Ökologin Iben Stockholm – obwohl deren Eltern eine entsprechende Epidemie überstanden haben. Die Grönlandrobben in der Arktis hingegen entwickelten einen dauerhaften Schutz. Eine Erklärung dafür hat die Wissenschaft bislang nicht. Interessante Fallbeispiele wie diese sind es, die Regisseur Jacques Mitsch zusammenträgt und die den Reiz des Films ausmachen. Dafür reist er in die USA, nach Dänemark, die Mongolei und die Schweiz.

Zentraler Ort des Films aber ist eine Forschungsstation im Tai-Nationalpark der Elfenbeinküste. Hierher kehrt die Doku immer wieder zurück: Die Tierärztin Ariane Düx und der Virologe Leonce Kouadio überwachen das Krankheitsgeschehen in einem der letzten großen Urwälder Westafrikas. Wenn ihnen ein verendetes Tier gemeldet wird, machen sie sich sofort auf den Weg, um Proben zu nehmen. Der Countdown rund um den Fund einer toten kleinen Antilope bildet den roten Faden des Films. Wobei dieser dramaturgische Einfall nur mittelgut funktioniert, auch, weil er nicht stringent genug verfolgt wird.

Spannend ist der Fall gleichwohl, vor allem in seiner Wechselwirkung mit den anderen Tieren und Pflanzen des Ökosystems. So erfährt man, dass beispielsweise Fledermäuse sogenannte Reservoir-Tiere sein können, die ein Virus in sich tragen, ohne selbst krank zu werden. Dass Fliegen für die Forschenden von unschätzbarem Wert sind, weil sie anders als Menschen “wirklich jeden Kadaver finden”. Oder dass man die Überträger von Krankheiten “Vektoren” nennt. Sehr informativ ist diese Doku, ohne dass es didaktisch würde.

Schade, dass der Film in seiner Machart gelegentlich nachlässig erscheint: So wird der unvorteilhafte Interview-Clip einer Gesprächspartnerin verwendet, in dem diese sich verhaspelt, anstatt die Sequenz nochmal zu drehen. Wird die zunächst eingeführte Methode der Namenseinblendungen sang- und klanglos wieder fallen gelassen. Oder die Schluss-Szene so abrupt wie lieblos abgeblendet. Auch Musikspur und Off-Kommentar vermögen nicht durchgehend zu überzeugen.

Nichtsdestotrotz ist “Epidemien in freier Wildbahn” ein interessanter, vielschichtiger Einblick in ein Thema, das die Menschen – darin sind sich die meisten Fachleute einig – in Zeiten von Globalisierung und dem zunehmenden menschlichen Eindringen in tierische Lebensräume immer mehr beschäftigen wird. Stichwort Covid, Stichwort Zoonosen. Gerade erst zeigten sich zahlreiche Fachleute, darunter Deutschlands bekanntester Virologe Christian Drosten, angesichts des in US-amerikanischen Milchviehbetrieben zirkulierenden Vogelgrippe-Virus’ alarmiert.