Eine Arte-Dokumentation porträtiert Frauen, deren Identität gegen ihren Willen in KI-Pornos verwendet wurde. Der Film lüftet den Schleier der Scham, der über dem Tabu-Thema liegt, und gibt Betroffenen eine Stimme.
Die junge Frau ist schockiert. Auf diversen Pornoseiten kursieren Erotikvideos mit ihr – und zwar mit Klarnamen und Adresse. Im Freundeskreis und im sozialen Umfeld wird geredet. Dabei hat die Frau selbst mit diesen Filmen nichts zu tun. Ein Unbekannter hat ein Foto ihres Gesichts mittels KI animiert und auf den nackten Körper einer Pornodarstellerin montiert. Das Ergebnis ist täuschend echt. Eine Arte-Doku porträtiert junge Frauen, die infolge eines derartigen Identitäts-Dienstahls virtuell missbraucht wurden. Die Opferzahlen gehen in die Hunderttausende.
In ihrem Film zeigen die britischen Filmemacher Sophie Compton und Reuben Hamlyn, wie leicht es ist, sogenannte Deepfake-Videos zu erstellen. Das Thema ist nicht ganz neu, doch die Gefahren, die von dieser sich rapide verbreitenden Technik ausgehen, wurden bislang eher hinsichtlich der Unterwanderung von Glaubwürdigkeit diskutiert. So können Deepfakes beispielsweise zur Verbreitung falscher Informationen genutzt werden, vor allem im politischen Kontext. Politikern können mittels digital gefälschter Videos falsche Aussagen in den Mund gelegt werden, wodurch das Vertrauen in demokratische Prozesse und Institutionen untergraben wird.
Zudem sind Fälle bekannt, in denen Betrüger sich mittels täuschend echter Videos als Angehörige oder Führungskräfte ausgaben und so Geld oder sensible Informationen erschwindelten. Solche Videos könnten auch den spektakulären Rücktritt eines prominenten Vorstandsmitglieds ankündigen, was den Aktienkurs bei börsennotierten Unternehmen erheblich beeinflussen könnte.
Auch das Thema Deepfake-Pornos ist nicht mehr ganz neu. Die Gesichter namhafter Sängerinnen und Schauspielerinnen wie Scarlet Johansson und Taylor Swift wurden für gefälschte Sexfilme missbraucht. Der aktuelle Film porträtiert aber keine Prominenten, sondern ahnungslose junge Studentinnen, deren Leben durch diesen virtuellen Missbrauch von einem Tag auf den anderen völlig aus den Fugen geriet. Ausführlich zu Wort kommen junge Frauen, die verdeutlichen, welchen Horror sie dadurch erleben mussten. Eine sogartige Bildmontage führt vor Augen, wie diese Erniedrigung zu Depressionen bis hin zu anhaltenden Suizidgedanken führen kann.
Die Doku fächert auf, dass betroffene Frauen vor nahezu unlösbaren Problemen stehen. Denn es ist extrem schwierig, ja beinahe unmöglich, die Täter, die KI-Pornovideos mit gestohlenen Personendaten ins Netz laden, überhaupt ausfindig zu machen.
Am Beispiel eines Falls, in dem eine junge Frau den virtuell übergriffigen Täter im Zuge einer akribischen Recherche selbst ausfindig machen konnte, zeigt der Film das nächste Problem auf. Denn als das Opfer sich an die Polizei wendete, erklärte der Beamte, es sei zwar widerlich, so etwas zu tun, aber es gäbe in den USA kein Gesetz dagegen.
Im Abspann des Films heißt es: “In der EU wird die Verbreitung von Deepfake-Pornos seit Anfang 2024 unter Strafe gestellt”. Doch diese Auskunft ist unpräzise, denn die Verbreitung gefälschter Pornos ohne Einwilligung des Betroffenen wird in der EU noch immer nicht unter dem Begriff “Deepfake” inkriminiert. So formuliert nur das Datenschutzgesetz einen vergleichsweise abstrakten Tatbestand, gemäß dem Porträtbilder als personenbezogene Daten gelten, die nicht ohne Einverständnis von anderen genutzt werden dürfen.
Diese juristischen Aspekte werden in dieser Dokumentation zwar angesprochen, aber die thematische Grundausrichtung weist in eine andere Richtung. Schwerpunktmäßig umkreisen beiden Autoren die Fragestellung, wie es sich für Frauen anfühlt, mit diesem Deepfake-Porno-Problem konfrontiert zu werden. So macht die Dokumentation transparent, inwiefern das Eindringen einer neuen Technologie in den Intimbereich die Betroffenen in existenzielle Krisensituationen stürzt. “Ich hatte Angst, es meinen Eltern zu erzählen”, so eine der Studentinnen: “Ich dachte, sie würden es nicht verstehen und würden denken, es wäre meine Schuld, weil ich mich im Internet bewege.”
Der aufschlussreiche Film zeigt einen interessanten Weg, wie Frauen den Spieß umdrehen und KI-Technologie einsetzen können, um sich zu wehren. Weil das Sprechen über diese peinliche Situation mit ähnlichen Hemmungen besetzt ist wie der Gang vors Gericht, bei dem Frauen über einen Missbrauch berichten müssen, haben Protagonistinnen dieses Films die Möglichkeit genutzt, um ihre Gesichter hinter einer KI-gestützten Maske zu verbergen. Auf diese Weise anonymisiert, wurde es ihnen möglich, traumatisierende Erfahrungen überhaupt erst zu artikulieren. So berichtet eine der Protagonistinnen, der mutmaßliche Täter sei ein Kommilitone, der sie häufig in ihrem Studentenzimmer auf dem Collage besuchte, um sich bei ihr auszuweinen. Dezent eingesetzte computeranimierte Reenactments geben eine Vorstellung von dieser Situation.
Den beiden Autoren gelingt eine interessante und vielschichtige Dokumentation über ein Phänomen, das noch nicht genügend Beachtung findet. Ihr Film arbeitet heraus, dass die Angst der Betroffenen, über diese peinlichen Situationen zu sprechen, eine Waffe ist, um die Opfer mundtot zu machen. “Alptraum Deepfake Pornos” gibt ihnen ihre Stimme zurück.