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Armes Dorf, reich an Büchern

Gerade mal 380 Menschen wohnen heute in Ohnastetten, dem kleinsten Ortsteil von St. Johann im Kreis Reutlingen. Doch im evangelischen Gemeindehaus neben der Kirche befindet sich eine imposante Bibliothek: 384 Bände zu Predigt, Theologie und Allgemeinbildung. Es war Württembergs Herzogin Franziska von Hohenheim (1748-1811), die der Kirchengemeinde in dem armen Bauerndorf 1786 einen Grundstock für die Bildung zur Verfügung stellte – wovon in erster Linie der Ortspfarrer profitieren sollte.

Die fromme Regentin und zweite Ehefrau von Herzog Karl Eugen von Württemberg hatte sich laut einem Schreiben des Herzoglichen Kirchenrats vom 12. April 1786 gezielt finanzschwache Gemeinden für den Büchersegen ausgesucht – Gemeinden, die „so wenig abwerffen, daß ein jeweiliger Pfarrer kaum davon leben, viel weniger sich Bücher, die sie zum unverdrossenen Wirken erwärmen, ihrem Geist Nahrung geben, und ihr Herz zum Guten erheben, anschaffen können“. Neben Ohnastetten kamen auch die Pfarreien in Marschalkenzimmern bei Rottweil und in Täbingen (Zollernalbkreis) in den Genuss einer Franziska-Bibliothek.

Konkret sah das so aus, dass die Herzogin 1.000 Gulden Kapital anlegte – und die Zinsen für die Anschaffung von Büchern bereitstellte. Die Bibliothek in Ohnastetten fing klein an mit zehn von Franziska gestifteten Büchern – überwiegend Predigtsammlungen – und wuchs dann um rund drei Bücher pro Jahr. Die letzten Bände wurden 1922 angeschafft. Hauptbestandteile sind Bibelwissenschaft, Kirchengeschichte, Ethik und Pädagogik. Aber auch weltliche Literatur sollte bei Predigten und Seelsorge im Dorf helfen, etwa ein großes Lexikon, eine Geschichte der Philosophie, ein Werk über das Pflanzenleben der Schwäbischen Alb oder Dantes „Göttliche Komödie“.

Bis heute sind die mehr als 200 Evangelischen im Dorf stolz auf diesen Bücherbesitz. Dieser hat mehr symbolischen Charakter, weiß der für Ohnastetten zuständige Pfarrer Sebastian Schmauder. Denn genutzt wird die Bibliothek im Alltag nicht mehr. Auch seien die Bände zwar von historischer Bedeutung, aber keine Raritäten, da es sie auch in anderen Bibliotheken und Archiven gebe. Warum bedeutet den Ohnastettern diese Büchersammlung dann so viel? „Es ist die Wertschätzung für eine kleine Gemeinde, die sich in dieser Bibliothek zeigt“, erläutert der Theologe.

Vorübergehend war die Sammlung im Bestand des Dekanats Reutlingen untergebracht. Im Jahr 2000 wurde sie dort wiederentdeckt und eine Übereinkunft getroffen, sie der Albgemeinde zurückzugeben. Auflage: Ein abschließbarer Schrank mit eingebautem Lichtschutz musste her, um die Bände zu schonen. Um dieses höherwertige Mobiliar zu finanzieren, startete die Kirchengemeinde das jährlich in der zweiten Julihälfte stattfindende Franziska-Fest. Dieses Gemeindefest, an dem sich der ganze Ort beteiligt, hat sich bis heute gehalten – auch nachdem der Bücherschrank bereits finanziert war.

Wie die Bibliothek in der Geschichte genutzt wurde, lässt sich schwer rekonstruieren. Kleine Dorfgemeinden in der Provinz waren selten die Stellen, auf denen die Intellektuellsten unter den Pfarrern ihren Platz fanden. Auch ist nicht klar, ob angesichts des beschwerlichen Reisens im 18. und 19. Jahrhundert viele Prediger aus Nachbarorten zum Studieren nach Ohnastetten kamen. Dokumentiert ist dagegen, dass einzelne Bände verliehen wurden – und das manchmal für viele Jahre. So mochte 1915 der Creglinger Stadtpfarrer Thym zwei Bände über griechische Denker nicht zurückschicken. „Da ich manchmal sie lese, bitte ich, sie mir noch bis auf weiteres zu belassen“, schrieb er an den Ohnastetter Pfarrer Scheible.

Bei der Gründung der Bibliothek 1786 hatte man schon im Blick, dass für die wachsende Zahl der Bücher irgendwann der Platz ausgehen könnte. Auch dafür wurde ein Verfahren festgelegt. „Minder gute und brauchbare Bücher“ sollten verkauft werden „und der Erlöß davon der ärmsten und würdigsten Familie jeden Orts gegeben werden“. Wie die große Sammlung in Ohnastetten zeigt, scheint es so weit nie gekommen zu sein. (0016/08.01.2025)