Jemand fehlt auf diesem Bild. Ein weißer Raum ist in der Abbildung von Jesu Geburt, dargestellt auf dem Kirchenfenster aus dem Jahr 1900 von Bruno Urban und Josef Goller in der sogenannten Kandlerkirche bei Dresden.
Die Leerstelle an der Krippe ist kein Fehler im Originalfenster und kein Fehldruck, sondern die Tat unserer Grafikerin. Wir wollten Platz schaffen: einen Platz an der Krippe, kostbarer als jeder Platz an der Sonne.
Seit mehr als 2000 Jahren erzählen sich Christinnen und Christen davon, wie Gott Mensch wurde im Stall von Bethlehem. Maria und Josef, die Hirten auf dem Felde, der Engel, das Kindlein in der Krippe und schließlich die drei Forscher, die dem Stern folgen, sie alle gehören in diese Erzählung. Die Evangelisten Lukas und Matthäus haben die Geschichte von Jesu Geburt niedergeschrieben. In den Weihnachtsgottesdiensten werden sie verlesen, alle möglichen Gemeindemitglieder schlüpfen in Krippenspielen in die Rollen.
Krippenspiel: Wen würden Sie gern verkörpern?
Stellen Sie sich vor, Sie spielten heute bei einem Krippenspiel mit. Wen würden Sie gerne verkörpern? Welche Rolle lockt Sie – weil sie vielleicht ganz anders ist als das, was Sie sonst leben? Weil Sie sich immer stören an ihrer öffentlichen Darstellung; vielleicht weil Maria in Ihren Augen ganz anders ist? Oder weil Sie sich einer bestimmten Figur nahe fühlen. Einmal Engel sein, einmal Josef sein.
Und dann sind da diese Worte, die der Engel Gottes den Hirten auf dem Felde verkündet und die die ganze Freudenbotschaft zusammenfassen: „Fürchtet euch nicht, denn euch ist heute der Heiland geboren.“ Wie würde der Satz von Ihren eigenen Lippen klingen, welche Worte würden Sie betonen? Sie können ihn flüstern, Sie können ihn rufen. Sie können auf jedem Wort herumkauen wie auf einem Plätzchen. Fürchtet. Euch. Nicht. Denn. Euch. Ist. Heute. Der. Heiland. Geboren.
Es ist einen Versuch wert, einmal selbst die Freudenbotschaft zu verkünden. Vielleicht nehmen Sie sie mit auf den nächsten Spaziergang und gehen die Worte Schritt für Schritt nach. Falls Sie jemanden grüßen, sagen Sie ruhig „Moin!“ oder „Guten Tag!“, aber denken Sie dabei die Freudenbotschaft, die Sie bei sich tragen.
In der Fantasie ist der Stall unendlich groß
An der Krippe in der Nacht der Geburt Jesu ist Raum für solche Ideen. Der Stall von Bethlehem war zwar eng, in der Fantasie der Menschheitsgeschichte ist er jedoch unendlich groß. So viele Menschen haben ihn beschrieben, gemalt, ausgeschmückt, nicht nur durch ihre künstlerischen Fähigkeiten und die Ästhetik ihrer Zeit, sondern auch durch die ihnen eigene Sehnsucht.
Dieser Stall ist eigentlich eine Werkstatt, um Heilsbotschaften auszuprobieren, indem wir in Rollen schlüpfen – und um uns dem größten Wunder zuzuwenden: dass Gott Mensch wurde. Dass er hilflos in einer Krippe liegt. Stark in seiner Schwäche kehrt er alle Verhältnisse um, bringt Hoffnung und Licht in die Finsternis.
Endlich “O du fröhliche” singen!
Und so kann es in unserer Fantasie, in unseren Herzen und Köpfen richtig arbeiten in dieser Denkwerkstatt. Wo möchten Sie sitzen? Direkt an der Krippe oder weiter hinten? Fehlt Ihnen heute jemand? Auch diese Person kann die Freistelle füllen und mit Ihnen das Kind in der Krippe betrachten.
Betrachten? Beten? Jubeln? Wonach ist Ihnen?
Unsere Kirchenlieder erzählen davon, wie sich Menschen angesichts der Krippe möglicherweise verhalten haben. „Ich steh an deiner Krippen hier, o Jesu, du mein Leben; ich komme, bring und schenke dir, was du mir hast gegeben. Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn, Herz, Seel und Mut, nimm alles hin und laß dir’s wohlgefallen“, beschrieb Paul Gerhardt 1653 (EG 37) eine große Hingabe im Stall von Bethlehem.
Stilles, ungläubiges Staunen und das Gebet an der Krippe treffen schließlich auf die größte Freude, wenn wir an Heiligabend endlich nach langem Warten singen können: O du fröhliche, o du selige, gandenbringende Weihnachtszeit.