Vor einigen Tagen habe ich einen blau-gelben Treffpunkt in einem leer stehenden Pfarrhaus in der Nähe von Hannover besucht. Engagierte Kirchenkreissozialarbeiterinnen hatten mit viel Unterstützung durch ehrenamtliche Mitarbeiterinnen innerhalb einer Woche aus dem Haus eine gastfreundliche Herberge geschaffen. Wohnraum mit Sitzecken und Spielbereichen, Ruheräume, Kinderbetten, Computerplätze und einen Beratungsraum. Die ersten ukrainischen Frauen fanden sich schon vor der Öffnung morgens um 10 Uhr dort ein.
Kurze Zeit später saß ich mit drei Frauen am Tisch. Eine von ihnen sprach hervorragend Deutsch. Zuerst begann ich sie zu fragen, woher sie kommen und wie sie nach Deutschland geflohen sind. Doch als eine Frau erzählte, sie käme aus Mariupol, dieser fast vollständig zerstörten Stadt mit vermutlich Tausenden von Toten, konnte ich nichts mehr sagen. Ich sah nur ihr Gesicht, ihre Trauer, ihren Schmerz. Ich kam mir vor wie einer der Freunde, die Hiob besuchten, als der alles verloren hatte. In der Bibel heißt es: „Und sie redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.“ (Hiob 2, 13)
Frage nach Gott
Wie, so frage ich mich, können wir zu Ostern predigen? Welche Sprache finden wir im Angesicht des Bösen, der Vernichtung? Leben wir nicht in der Gefangenschaft des Karfreitag? Sollte nicht besser nur geschwiegen werden? Und nicht ausweichen und – typisch menschlich – die Frage nach Gott stellen, sondern sich von Gott selbst befragen lassen: „Mein Volk, was habe ich dir getan, womit habe ich dich beschwert? Mein Volk, gib mir Antwort!“ Diese Fragen, auch „Heilandsklagen“ genannt, gehören zur Liturgie des Karfreitags.
Gerecht und friedlich
Doch sofort unterbreche ich mich. Liegt nicht in der Begegnung mit den Opfern dieses brutalen Angriffskriegs Russlands auch die Aufforderung, selbst eine Sprache zu suchen, die in die Zukunft weist? Eine Sprache, die diesem Bösen widersteht? Worte zu finden, die – gegen allen Anschein – die Hoffnung auf eine andere Welt festhalten? Angesichts dieses Krieges gerät unser Glaube in Zweifel: Gott, wie kann hier wieder Frieden werden?
Es ist uns nicht gelungen, die Zukunft dieser Erde, die Zukunft deiner Geschöpfe so zu gestalten, dass wir gerecht und friedlich miteinander leben. Manchmal bezweifele ich, dass wir überhaupt eine Zukunft haben werden. Doch was nun wie tiefe Resignation klingt, findet sich, in einem anderen Tonfall, auch in einem vertrauten Abendgebet: „Bleibe bei uns am Abend des Tages, am Abend des Lebens, am Abend der Welt.“
Dieser Krieg eines unzurechnungsfähigen Diktators lässt uns solidarisch sein mit den Opfern und bringt uns die schmerzhafte Erkenntnis der Begrenztheit, auch der Lebensbegrenztheit und der Weltbegrenztheit, all’ unseres Tuns.
Diese Einsichten führen mich nicht zum Verlust des Glaubens, sondern gehören untrennbar dazu. Wir Menschen werden diese Schöpfung nicht erhalten. Wir werden nicht den Frieden stiften. Wir werden den künftigen Generationen keine Zukunft gestalten, in der es sich lohnt zu leben. Wir nicht – aber Gott!
Worauf wir vertrauen sollten
Genau das ist der Kern von Karfreitag und Ostern: All die Selbstbezogenheit und Überschätzung, dass wir als Menschen alles allein tun und regeln können, scheitert mit Jesus am Kreuz. Wie seine Anhängerinnen und Anhänger damals von Ferne auf den Gekreuzigten schauten, stehen wir heute hilflos und zum Zuschauen verdammt da. Wir sehen mit an, wie die Gewissheiten, auf die wir unser Leben, auch unseren Wohlstand, aufgebaut haben, brüchig werden. Wenn wir einzig darauf vertrauen, dass einige kleinere oder größere Veränderungen notwendig sind, um unserer Welt eine friedliche und lebensbejahende Zukunft zu sichern, werden wir enttäuscht werden.
„Er ist der Anfang: der erste der Toten, der neu geboren wurde. In jeder Hinsicht sollte er der Erste sein. Denn so hatte es Gott beschlossen: Mit seiner ganzen Fülle wollte er in ihm gegenwärtig sein. Und er wollte, dass alles durch ihn Versöhnung erfährt. In ihm sollte alles zum Ziel kommen. Denn er hat Frieden gestiftet durch das Blut, das er am Kreuz vergossen hat. Ja, durch ihn wurde alles versöhnt – auf der Erde wie im Himmel.“ (Kolosserbrief 1, 18-20)
Zeichen der Hoffnung
Ostern geht es um eine Hoffnung, die erstmalig bestätigt wird in Jesus Christus. Dort wird der Grund gelegt für die Zukunft der Schöpfung und das Leben des Menschen in Frieden. Die Auferstehung Jesu macht den Anfang, um dem enttäuschenden Handeln dieser Welt eine andere Perspektive zu geben. Ostern bringen wir nicht nur ein fernes historisches Ereignis oder einen geistlichen Durchbruch zur Sprache, sondern die Einsicht, dass Jesu Tod und seine Auferstehung wieder und wieder Gestalt zu geben ist in einer Welt, die der Erlösung bedarf.
Hermann Hesse hat Ostern 1945 ein Gedicht geschrieben für die Waffenstillstandsfeier von Radio Basel. Darin heißt es: „Kaum zu freuen wagt sich das Herz, ihm sind näher die Tränen“ und weiter: „Aber wir hoffen. Und in der Brust lebt uns glühende Ahnung von den Wundern der Liebe. … Wollet! Hoffet! Liebet!“
Gesegnete Ostern
Verlag und Redaktion wünschen Ihnen eine gesegnete Osterzeit.