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Amen zwischen Riesenrad und Zuckerwatte

Viele Schausteller fühlen sich der Kirche verbunden und schätzen Angebote wie Gottesdienste auf dem Bremer Freimarkt. Doch die evangelische Seelsorge für die große reisende Gemeinde ist bedroht.

Unter dem Sternenhimmel des Autoscooters "Top In" auf dem Bremer Freimarkt feiert die Bremer Pastorin Ingrid Witte Gottesdienst
Unter dem Sternenhimmel des Autoscooters "Top In" auf dem Bremer Freimarkt feiert die Bremer Pastorin Ingrid Witte Gottesdienstepd-bild / Dieter Sell

Die „Wilde Maus“ schläft, auf den Schienen der Achterbahn ist noch keine Gondel unterwegs. In der „Elchbar“ gegenüber werden die letzten Gläser vom trubeligen Vorabend gespült. Überall in den Gassen des Bremer Freimarkts sind Leute mit Besen unterwegs, um dem Festplatz den letzten Schliff vor dem Besucheransturm zu geben. Auf der Fahrbahn des Autoscooters „Top In“ ist allerdings schon Hochbetrieb: Die evangelische Schaustellerseelsorge hat am Reformations-Donnerstag zwischen Riesenrad und Zuckerwatte und vor dem großen Rummel-Start zum Freimarkts-Gottesdienst eingeladen.

Wo sonst Scooter rempeln und die neuesten Hits aus den Lautsprechern schallen, hat die Bremer Dompastorin und Schausteller-Seelsorgerin Ingrid Witte einen Altar mit Kreuz und Kerzen aufgebaut. Schnell noch den Talar glattgezogen, das Beffchen gerichtet und die Stola mit Kirmes-Ornamenten übergeworfen – dann kann es auch schon losgehen. Die Gemeinde ist engagiert dabei, aus vollen Kehlen tönt der Kirchenklassiker „Lobe den Herren“ im Kanon über den Festplatz.

Viele Schausteller sind der Kirche eng verbunden

Die Schaustellerinnen und Schausteller seien eine gläubige Gemeinde und der Kirche eng verbunden, sagt Rudolf Robrahn, Vorsitzender des Bremer Schaustellerverbandes. „Viele Volksfeste haben ja mit der Kirchweih einen entsprechenden Ursprung“, betont der Mann, der einer großen Schausteller-Dynastie angehört.

Der Gottesdienst im Autoscooter-Zelt ist beliebt
Der Gottesdienst im Autoscooter-Zelt ist beliebtepd-bild / Dieter Sell

Weil es den Leuten in den Imbissbuden und auf den Karussells aber aufgrund der Rummel-Öffnungszeiten schwerfällt, zu herkömmlichen Gottesdienstzeiten in die Kirche zu kommen, freut sich Robrahn über die Flexibilität der Kirmes-Seelsorge. „Dass Ingrid Witte mit ihrem Gottesdienst zu uns kommt, das ist großartig.“

Bundesweit zählt die evangelische Gemeinde auf der Reise mehr als 20.000 Mitglieder

Bundesweit zählt die evangelische Gemeinde auf der Reise mehr als 20.000 Mitglieder, sagt der Leiter der Circus- und Schaustellerseelsorge der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Pastor Torsten Heinrich. „Dazu gehören Artisten, Schausteller, Puppenspieler und reisende Marktkaufleute.“ Seelsorgerlich betreut werden sie in einem Netzwerk, in dem bis auf den Leiter alle ehrenamtlich oder mit einem Auftrag neben einem Hauptjob unterwegs sind.

Nach einem musikalischen „Welcome“ des Bremer Jugendposaunenchores ist Ingrid Witte mittlerweile beim ersten Gebet angekommen, die Gemeinde faltet die Hände. „Wir bitten um Kraft und Ideen für unser Tun“, ruft sie unter dem Sternenhimmel des Autoscooters und beleuchtet von Hunderten LED-Lichtern den Besucherinnen und Besuchern auf den voll besetzten Bierzelt-Bänken zu. Wenig später bittet sie um eine Kollekte für die Schausteller-Seelsorge und sagt, es sei eine Seelsorge, „die auf der Kippe steht“.

EKD will Haushalt für die Circus- und Schausteller-Seelsorge kürzen

Es geht ums Geld. Hintergrund sind nach Angaben von Torsten Heinrich Beschlüsse der EKD, die den Haushalt für die Circus- und Schausteller-Seelsorge um 71 Prozent kürzen will. Das könnte der Todesstoß für das Arbeitsfeld sein, fürchten diejenigen, die für Spaß und Freizeitangebote auf den bundesweit rund 9.750 kleinen und großen Volksfesten sorgen.

Und das in einer Situation, in der die Gemeinde nach dem gerade überstandenen Stillstand der Branche in der Corona-Pandemie und belastet durch Inflation, steigende Energiepreise und Arbeitskräftemangel vor großen Herausforderungen steht. „Prinzipiell sind die Schausteller aber keine Miesepeter, sondern erfinderische Optimisten“, meint Torsten Heinrich, der von seiner Geschäftsstelle in Hannover unterstützt wird und im hessischen Hofheim bei Frankfurt lebt.

Optimistisch, so ist die Stimmung auch im Gottesdienst auf dem Bremer Freimarkt, als Ingrid Witte zum „Schausteller-Gebet“ einlädt und alle vielstimmig mitsprechen: „Lass mich bedenken mein Vorrecht, als von dir geliebter Mensch auch anderen Menschen Freude zu bringen.“ Danach noch ein letztes Amen, der Posaunenchor spielt zum Abschluss die schmissige Titelmelodie aus dem Western „Die glorreichen Sieben“, dann ist Schluss. Doch auf dem Rummel geht es jetzt erst richtig los.