Wider den hektischen Lebensstil: Achtsamkeit liegt im Trend. Durch einen trainierten Geist soll das Leben lebenswerter werden. Mit den Exerzitien bietet auch die Kirche dafür Methoden an – für ein besseres und gesünderes Leben.
Mehr Bewusstsein – für tägliche Tätigkeiten, die Zeiteinteilung, den Körper und die Seele. Achtsamkeit ist ein Trend, der in den durch Krisennachrichten, ständige Erreichbarkeit sowie den selbst- und fremdgemachten Stress beschleunigten Alltag Ruhepole einbringen soll. Wer Achtsamkeit lebt, sich selbst bewusster wahrnimmt, der soll besser und entspannter mit dem stressigen Alltag umgehen können, ja, sogar ein fröhlicheres und intensiveres Leben haben.
Auch Gebet ist eine Form der Selbstreflexion
In den Sozialen Netzwerken finden sich etliche Beiträge von Menschen, die mehr Achtsamkeit predigen. Wer danach sucht, wird ebenso viele Anleitungen, Ratgeber und sogar Coaches finden, die Lehrstunden in Achtsamkeit erteilen. Die Übungen gehen von Yoga über autogenes Training bis hin zum Eintrainieren einfacher täglicher Routinen, etwa den morgendlichen Blick aufs Handy zu vermeiden oder bewusst die Schritte auf dem Weg zur Arbeit zu zählen.
Dabei zeigt sich schnell, dass das Konzept sowie viele der Techniken alles andere als neu sind. Meditation und Atemtechniken etwa sind schon seit Jahrtausenden überlieferte Praktiken und bilden einen elementaren Bestandteil der buddhistischen Philosophie.
Und letztlich ist auch das christliche Gebet eine Form der Ruhe und Selbstreflexion. Das ist zwar keine innovative Feststellung, wirkt angesichts des allgemeinen Trends aber doch fast überraschend: So wie das Interesse an Methoden für Achtsamkeit steigt, so nimmt die Bindekraft von Kirche und Glaube in der Gesellschaft ab.
Dabei bieten in der Kirche beheimatete Meditationspraktiken sehr gute Voraussetzungen für das Erlernen von mehr Achtsamkeit, etwa die ignatiaschen Exerzitien. Die auf den Gründer des Jesuitenordens Ignatius von Loyola (1491-1556) zurückgehenden geistlichen Übungen beinhalten quasi alles, was es für einen achtsamen Lebensstil braucht. Das bereits Mitte des 16. Jahrhunderts veröffentlichte Exerzitienbüchlein des Ordensgründers enthält genaue Anleitungen für die geistlichen Übungen.
„Während es beim Sport und bei körperlichen Übungen um Wiedererlangung oder Erhaltung der Gesundheit geht, haben die geistlichen Übungen einen anderen Zweck, nämlich, das eigene Leben zu ordnen“, erklärt Albert Holzknecht. Der Jesuit leitet das Exerzitienhaus Hoheneichen in Dresden. Bei den Exerzitien gehe es darum, „mehr Klarheit über die eigene Lebensgeschichte – auch mit ihren Schatten und Brüchen – zu bekommen, um aus einer vertieften Beziehung zu Jesus Christus persönliche Lebensentscheidungen treffen zu können“.
Exerzitien werden zumeist im Gemeinschaft mit anderen Menschen und unter der Führung eines geistlichen Begleiters oder einer Begleiterin durchgeführt. Doch ist es laut Holzknecht auch für jeden Einzelnen möglich, die Übungen alleine und zuhause durchzuführen. Allerdings empfiehlt der Experte, in diesem Fall dennoch täglich ein Begleitgespräch zu führen.
Klassischerweise erstrecken sich die ignatiaschen Exerzitien über einen Monat, den man in Ruhe und Abgeschiedenheit verbringt. Auch heute noch gibt es vereinzelt solche Exerzitien, doch hat sich das Angebot stark ausgeweitet, um auch den Menschen, die nicht die Möglichkeit eines 30-tägigen Rückzugs haben, eine Möglichkeit zur geistigen Übung einzuräumen.
So bieten viele Pfarrgemeinden und kirchliche Einrichtungen zu bestimmten Zeiten im Jahr wie der Fasten- oder Adventszeit Exerzitien im Alltag an. Dabei sind die Teilnehmer angehalten, täglich einige Minuten im Gebet zu verbringen und zum Abend den Tag zu reflektieren. Bei regelmäßigen Treffen mit den anderen Teilnehmern wird gemeinsam darüber gesprochen und ein Impuls für die kommenden Tage gegeben.
Jede und jeder kann Exerzitien machen
Exerzitien, betont Holzknecht, könne jeder machen. „Zu uns kommen gläubige und suchende Menschen, katholische und evangelische und auch konfessionslose Menschen.“ Dennoch spielten das Gebet, der Glaube und Gott natürlich eine wichtige Rolle, sagt der Jesuit. „Wenn jemand diesbezüglich wenig oder gar keine Erfahrungen mitbringt, geht es darum, jemandem zu helfen, einen Zugang zum Gebet und zu Gott zu finden, zum Beispiel über Betrachtung der Schöpfung, über Bilder, über Schrifttexte oder andere Texte.“
Feste Termine oder einen vorgeschriebenen Zeitablauf für Exerzitien gibt es nicht. Laut Holzknecht empfiehlt es sich aber, die geistlichen Übungen in regelmäßigen Abständen durchzuführen, wenn möglich zumindest einmal im Jahr. Doch nicht nur für ein bewussteres Leben sind Exerzitien nützlich. Sie können auch widerstandsfähiger machen – etwa gegen Existenz- oder Kriegsängste, die durch die Berichte von Kriegen, Preissteigerungen und Importausfällen derzeit viele Menschen beschäftigen. Wer sich zu stark in den Strudel dieser schlechten Nachrichten hineinziehen lässt, riskiert Panikattacken und Depressionen zu erleiden.