Sonntags im Gottesdienst ist es Tradition, dass nach der Predigt der Klingelbeutel die Runde macht. Weitergereicht von einem zum nächsten, wird er am Ende von einem Mitglied des Presbyteriums in Empfang genommen.
Das übliche Prozedere sorgte neulich in der Friedenskirchengemeinde Castrop-Rauxel (Kirchenkreis Herne) für schwere Arme. Und wohl auch für Grinsen. Ein Gemeindeglied hatte gleich eine ganz Plastiktüte voller Ein- und Zwei-Cent-Stücke in den Beutel gesteckt. Das wiegt schwer.
Werner Neugebauer muss lachen, als er das erzählt. Auch wenn das für ihn und seine Ehrenamtskollegen deutlich mehr Zeitaufwand als die sonst erforderlichen 15 Minuten bedeutete, um das Münzgut auszuzählen, in verschiedenen Stapeln auf dem Tisch aufzutürmen und den Erlös zu dokumentieren. Das ist eine seiner Aufgaben im Presbyterium der Kirchengemeinde, dem er seit 1982 und davon „eine gefühlte Ewigkeit“ als Finanz-Kirchmeister angehört, wie er sagt.
In dieser Funktion bestreitet Neugebauer zusammen mit dem Bau-Kirchmeister den finanziellen Part des vielfältigen Aufgabenkatalogs des 13-köpfigen Leitungsgremiums seiner Kirchengemeinde. Neugebauer trägt diese Verantwortung gern und in der christlichen Überzeugung, hier seine Gaben einzubringen. Als studierter Betriebswirt und Geschäftsführer des Krankenhauses Bergmannsheil Buer kennt er sich aus im Umgang mit Finanzen.
Ein Jahrespraktikum bei einer Bank hat ihn auch Tücken im Geldumgang kennenlernen lassen. Es sind diese Erfahrungen, die seine „extrem hohe Sensibilität“ erklären, die er für sich auch in seiner Verantwortung als Finanz-Kirchmeister in Anspruch nimmt.
Für den Umgang mit der Kollekte heißt das, dass er den Presbyterraum, wo das Zusammengetragene ausgezählt wird, „nie alleine betritt“, um bei Außenstehenden gar nicht erst falsche Gedanken auszulösen. So sieht es auch die Kirchenordnung vor, die klar regelt, dass während des gesamten Auszählvorgangs bis hin zur Dokumentation mindestens zwei Presbyteriumsmitglieder anwesend sein müssen.
In der Friedenskirchengemeinde sind sie in der Regel sogar zu dritt, erzählt Neugebauer. Darunter eine Presbyterin, der er bescheinigt: „Ihrem scharfen Blick entgeht nichts. Sie schaut auf die gestapelten Münzhäufchen und sieht sofort, ob da oder dort noch ein Geldstück fehlt.“
Gestapelt, gezählt, dokumentiert kommt alles in den Tresor und wird am Folgetag zur Bank getragen, wo dann noch mal alles auf Korrektheit überprüft, quittiert und verbucht wird. Eigentlich sei diese Vorgehensweise ja „bekloppt“, entfährt es dem Finanzexperten. Denn bei größeren Geldmengen werde von vornherein der automatische Geldzähler in der nahe gelegenen Bankfiliale genutzt und alles quasi in einem Gang erledigt. „Das hieße zwar, wir müssten immer zu zweit zur Bank gehen, aber wir zählen ja auch mindestens zu zweit aus“, sagt er.
Heftklammern, Knöpfe oder die abgerissene Kinokarte, die Neugebauer jüngst entdeckte, würden spätestens hier auffallen. Ebenso ausländisches Münzgeld zum Ende der Urlaubszeit. Nur gelegentlich passiere es, dass Pfennigstücke, Groschen oder eine D-Mark in der Kollekte landen.
Neben solch kleinen Anekdoten rund um den Klingelbeutel ist Neugebauer besonders der anonyme Spender noch im Gedächtnis, der über Jahre hinweg in die Weihnachtskollekte ein dickes Bündel 50er und 100er Geldscheine steckte. Das war dann irgendwann vorbei. Aber wer weiß schon, welche Überraschungen der Klingelbeutel bereit hält, wenn er am Sonntag im Gottesdienst wieder durch die Bankreihen gereicht wird.